Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
brennen scheint als im Aufzug und im Eingangsbereich. »Leider müssen wir ganz auf die andere Seite hinüber«, sagt Fred zu Jack. Linkerhand erstreckt sich ein scheinbar endlos langer Korridor wie eine Übung in perspektivischem Zeichnen. Fred weist in die Richtung, in die sie weiter müssen.
Sie gehen durch zwei große zweiflüglige Türen, vorbei am Korridor zu Station B, an zwei großen Räumen mit durch Vorhänge abgeteilten Patientenbetten vorüber, biegen am geschlossenen Eingang der Abteilung Gerontologie ab, folgen einem nicht enden wollenden Flur, der von schwarzen Brettern gesäumt ist, gehen am Eingang zu Station C vorbei, biegen an den Toiletten abrupt rechts ab, kommen an der Augenambulanz und dem Archiv vorbei und erreichen endlich einen mit STATION D bezeichneten Korridor. Je weiter sie gelangen, desto düsterer scheint das Licht zu werden, desto näher scheinen
die Wände zusammenzurücken und die Fenster zu schrumpfen. Im Korridor zur Station D lauern Schatten, und auf dem Fußboden glänzt eine kleine Wasserlache.
»Wir sind im ältesten Teil des Gebäudes angelangt«, sagt Fred.
»Sie wollen Judy hier bestimmt so bald wie möglich rausholen.«
»Na ja, klar, sobald Pat Skarda glaubt, dass sie so weit ist. Aber das wird Sie überraschen: Judy gefällt es hier irgendwie. Ich glaube, es hilft ihr. Sie hat mir erzählt, dass sie sich völlig sicher fühlt, und von den Leuten, die reden können, sollen einige äußerst interessant sein. Man kommt sich vor wie auf einer Kreuzfahrt, sagt sie.«
Jack lacht erstaunt und ungläubig auf. Fred Marshall berührt ihn an der Schulter und sagt: »Ob das wohl heißt, dass ihr Zustand sich sehr gebessert oder sehr verschlimmert hat?«
Am Ende des Korridors gelangen sie unmittelbar in einen ziemlich großen Raum, in dem anscheinend seit einem Jahrhundert nichts mehr verändert worden ist. Die dunkelbraune Wandtäfelung ragt bis auf Brusthöhe über den dunkelbraunen Holzfußboden. Hoch in der grauen Wand rechts lassen zwei schmale, hohe Fenster, die wie Bilder eingerahmt sind, gedämpftes graues Licht ein. Ein hinter einer polierten Holztheke sitzender Mann drückt auf einen Knopf, der eine übergro ße Metalltür mit der Aufschrift STATION D und einem kleinen Drahtglasfenster entriegelt. »Sie können hineingehen, Mr. Marshall, aber wer ist Ihre Begleitung?«
»Er heißt Jack Sawyer. Das geht schon in Ordnung.«
»Ist er ein Arzt oder ein Verwandter?«
»Weder noch, aber meine Frau möchte ihn sprechen.«
»Warten Sie einen Augenblick hier.« Der Wärter verschwindet durch die Metalltür und sperrt sie mit gefängnisartigem Scheppern hinter sich ab. Eine Minute später kommt er mit einer Stationsschwester zurück, deren breites, faltiges Gesicht, deren muskulöse Arme, Hände und dicke Beine sie wie einen Mann in Frauenkleidung erscheinen lassen. Sie stellt sich als Jane Bond, Oberschwester von Station D, vor – eine Kombination aus Wörtern und Umständen, die unwiderstehlich
zumindest einige Spitznamen suggerieren. Die Oberschwester bombardiert erst Fred und Jack, dann nur Jack mit Fragen, bevor sie wieder durch die große Tür verschwindet.
»Und wo ist Dr. No?«, sagt Jack, der sich das nicht verkneifen kann.
»Sie sind nicht der Erste, der den Witz macht«, sagt der Wärter. »Sie ist taff, aber ungerecht.« Er sieht hüstelnd zu den hohen Fenstern auf. »Wir haben hier einen Krankenpfleger, der sie Nullnull-Null nennt.«
Einige Minuten später stößt Oberschwester Bond, Agentin 000, die Metalltür auf und sagt: »Sie können jetzt reinkommen, aber befolgen Sie meine Anweisungen.«
Auf den ersten Blick erinnert die Station an eine riesige Flugzeughalle, die in einen Bereich mit gepolsterten Bänken, einen Bereich mit runden Tischen und Plastikstühlen und einen dritten Bereich unterteilt ist, in dem auf zwei langen Tischen Zeichenpapier, Schachteln mit Farbstiften und Farbkästen gestapelt sind. In dem riesigen Raum wirken diese Einrichtungsgegenstände wie Puppenhausmöbel. Auf dem glatten Estrich, der in einem anonymen Grau gestrichen ist, liegen hier und da rechteckige gepolsterte Matten; sechs Meter über dem Fußboden sind in die Rückwand, deren rote Ziegel in weit zurückliegenden Jahren ein paar weiße Anstriche erhalten haben, kleine vergitterte Fenster eingelassen. In einem Glaskasten links neben dem Eingang sieht eine Krankenschwester, die dort am Schreibtisch sitzt, von ihrem Buch auf. Rechts im Hintergrund, weit hinter den Tischen
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