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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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Jack sie auf der Stelle
heiraten. Ihm kommt es so vor, als hätte er sich schon in sie verliebt, als er nur ihren Hinterkopf gesehen hat.
    Aber er darf sie nicht begehren. Sie ist Fred Marshalls Frau und die Mutter des Sohns der beiden, und Jack wird einfach ohne sie weiterleben müssen.
    Sie spricht einen kurzen Satz, der wie eine vibrierende Schallwelle durch ihn hindurchgeht. Er beugt sich mit einer gemurmelten Entschuldigung nach vorn, und Judy bedenkt ihn lächelnd mit einer Handbewegung, die ihn einlädt, vor ihr Platz zu nehmen. Jack sinkt im Schneidersitz zu Boden, noch immer vom Schlag dieses ersten Anblicks widerhallend.
    Aus ihrer Miene spricht wundervolles Einfühlungsvermögen. Sie hat genau gesehen, was eben in ihm vorgegangen ist, und sie scheint es gutzuheißen. Sie hält deswegen nicht weniger von ihm. Jack öffnet den Mund, um eine Frage zu stellen. Obwohl er nicht weiß, wie die Frage lauten wird, muss er sie stellen. Die Art seiner Frage ist unwichtig. Die idiotischste Erkundigung reicht aus; er kann nur nicht dasitzen und stumm dieses herrliche Gesicht anstarren.
    Bevor er spricht, geht eine Version der Realität lautlos in eine andere über, und Judy Marshall verwandelt sich übergangslos in eine Mittdreißigerin mit verfilztem Haar und dunklen Schatten unter den Augen, die ihn auf einer Bank in einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung sitzend unverwandt anblickt. Das müsste ihm eigentlich wie eine Wiederherstellung seiner Vernunft erscheinen, aber stattdessen kommt es ihm wie ein Trick vor, als hätte Judy Marshall sich absichtlich verwandelt, um ihm ihre Begegnung zu erleichtern.
    Die Worte, die er spricht, sind so banal, wie er befürchtet hat. Jack hört sich sagen, dass er sich freue, sie kennen zu lernen.
    »Ich freue mich auch, Sie kennen zu lernen, Mr. Sawyer. Ich habe so viele wundervolle Dinge über Sie gehört.«
    Er sucht ein Anzeichen dafür, dass sie das Ungeheure des soeben vergangenen Augenblicks anerkennt, aber er sieht nur ihre lächelnde Wärme. Unter den gegebenen Umständen erscheint ihm das aber Anerkennung genug. »Wie kommen Sie hier zurecht?«, fragt er, und damit verschieben die Gewichte sich noch mehr in seine Richtung.

    »An den Umgang, den man hier hat, muss man sich erst gewöhnen, aber diese armen Leute hier haben sich bloß verirrt und können jetzt nicht zurückfinden, das ist alles. Manche von ihnen sind sehr intelligent. Ich habe hier Gespräche geführt, die weit interessanter waren als die in meiner Kirchengruppe oder der Elternvereinigung. Vielleicht hätte ich schon früher in Station D kommen sollen! Mein Aufenthalt hier hat mich einiges gelehrt.«
    »Zum Beispiel?«
    »Beispielsweise, dass es zum einen viele Möglichkeiten gibt, sich zu verirren, und dass man sich viel leichter verirren kann, als jemals irgendjemand zugibt. Die Leute hier drinnen können ihre Gefühle nicht verbergen, und die meisten haben nie gelernt, mit ihrer Angst umzugehen.«
    »Wie sollte man denn damit umgehen?«
    »Nun, man geht mit ihr um, indem man sie angeht, so simpel ist das! Man sagt nicht einfach, ich habe mich verirrt und weiß nicht, wie ich zurückfinden soll – man geht in dieselbe Richtung weiter. Man setzt einen Fuß vor den anderen, bis man sich noch mehr verirrt hat. Das sollte jeder wissen. Vor allem Sie, Jack Sawyer.«
    »Wie kommen …« Bevor er seine Frage beenden kann, taucht eine alte Frau mit faltigem, freundlichem Gesicht neben ihm auf und berührt ihn an der Schulter.
    »Entschuldigung.« Sie senkt den Kopf und zieht dabei das Kinn wie ein schüchternes kleines Mädchen an. »Ich möchte dich etwas fragen. Bist du mein Vater?«
    Jack lächelt ihr zu. »Erst musst du mir eine Frage beantworten. Heißt du vielleicht Estelle Packard?«
    Die alte Frau nickt mit strahlenden Augen.
    »Ja, dann bin ich dein Vater.«
    Estelle Packard hebt die Hände vor den Mund, beugt dankend den Kopf und schlurft freudestrahlend rückwärts davon. Als sie etwa drei Schritte entfernt ist, winkt sie Jack mit einer leichten Handbewegung zu und tänzelt schließlich von dannen.
    Als Jack wieder zu Judy Marshall hinübersieht, hat er das Gefühl, sie hätte ihren Schleier des Gewöhnlichen eben weit
genug geöffnet, um ihn einen winzigen Teil ihrer überwältigend großen Seele sehen zu lassen. »Sie sind ein sehr netter Mensch, nicht wahr, Jack Sawyer? Das hätte ich mir gleich denken können. Sie sind sogar ein guter Mensch. Natürlich sind Sie auch charmant, aber Charme

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