Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
blassen Leiche Irma Freneaus – dadurch unsere Ehrerbietung zollen, dass wir uns zu unserer Kleinheit bekennen. Im Vergleich zu dem Schauspiel hier sind wir nicht mehr als Dämpfe.
Eine dicke Biene kommt durch den leeren Fensterrahmen, der drei Schritte von Irmas Leiche entfernt ist, hereingeflogen und macht sich auf einen ausgedehnten Erkundungsflug durch den hinteren Teil des Schuppens. Unter ihren verschwommenen Flügeln hängend, scheint die Biene eigentlich zu schwer zu sein, um überhaupt fliegen zu können, aber sie setzt ihre Erkundung leger und ohne Eile fort, wobei sie in weiter Kurve hoch über dem blutbefleckten Fußboden bleibt. Die Fliegen, der Köter und Irma achten nicht auf sie.
Für uns hat die Biene, die weiterhin zufrieden durch den rückwärtigen Teil der Schreckenskammer brummt, jedoch aufgehört, eine willkommene Ablenkung zu sein, sie ist vielmehr Bestandteil des uns umgebenden Geheimnisses geworden. Sie ist ein Detail der Szenerie, ein Detail, das uns ebenfalls
Demut abfordert und zu uns spricht. Das gewichtige, sonore Brummen der Flügel scheint die genaue Mitte der von den gierigen Fliegen erzeugten wogenden Schallwellen, die höher sind, festzulegen. Wie ein Sänger am Mikrofon vor einem Chor kontrolliert die Biene den akustischen Hintergrund. Das Geräusch schwillt an und gewinnt an Bedeutsamkeit. Als die Biene durch einen gelben Lichtstrahl fliegt, der durch die Ostwand hereinfällt, leuchten ihre Streifen in Schwarz und Gold auf, die Flügel verschwimmen zu einem wirbelnden Fächer, und das Insekt erscheint auf einmal als kompliziertes fliegendes Wunderwerk. Das ermordete Mädchen schmiegt sich an die blutbefleckten Bodenbretter. Unsere Demut, unser Gefühl der Bedeutungslosigkeit, unsere Erkenntnis des in dieser Szene liegenden tiefen Ernsts gewährt uns eine Ahnung von Kräften und Mächten jenseits unseres Begriffsvermögens, von einer gewissen Erhabenheit, die stets gegenwärtig und wirksam, aber nur in solchen Augenblicken wahrnehmbar ist.
Wir sind geehrt worden, aber diese Ehre ist unerträglich. Die geschäftige Biene brummt in weitem Bogen zum Fenster zurück und fliegt in eine andere Welt hinaus; wir folgen ihrem Beispiel und gelangen durchs Fenster wieder in die Sonne und in höhere Luftschichten.
Fäkaliengestank in der Seniorenresidenz Maxton; die fragile, fließende Atmosphäre von Verwerfungen in dem aus dem Lot geratenen Haus nördlich des Highways 35; das Summen der Fliegen und der Anblick von Blut im ehemaligen Ed’s Eats. Ächz! Würg! Gibt’s hier in French Landing denn überhaupt keinen Ort, könnten wir fragen, an dem sich unter der Oberfläche etwas Nettes verbirgt? Wo wir gewissermaßen genau das geboten bekommen, was wir auch sehen?
Die Antwort lautet kurz und knapp: Nein. An allen Zufahrtsstraßen von French Landing sollten große Warntafeln stehen: VORSICHT! VERWERFUNGEN IM GANGE! WEITERFAHRT AUF EIGENE GEFAHR!
Der hier wirksame Zauber geht vom Fisherman aus. Er hat das Wort »nett« zumindest zeitweise außer Kraft gesetzt. Aber wir könnten zwischenzeitlich einen netteren Ort aufsuchen,
und das sollten wir vermutlich auch tun, haben wir doch eine Verschnaufpause nötig. Vielleicht gelingt es uns ja nicht, den Verwerfungen zu entkommen, aber wir können wenigstens einen Ort besuchen, an dem niemand ins Bett scheißt oder auf dem Fußboden verblutet (zumindest vorerst nicht).
Die Biene fliegt also ihres Weges, und wir fliegen unseren; unserer führt uns nach Südwesten, über weitere Wälder, die ihren Duft von Leben und Sauerstoff verströmen – diese Luft hat nicht ihresgleichen, wenigstens nicht in dieser Welt – und dann wieder zurück zu den Werken der Menschen.
Der Name des Stadtteils hier lautet Libertyville, ein Name, den der Stadtrat von French Landing ihm im Jahr 1976 verliehen hat. Man wird es kaum glauben, aber der schmerbäuchige Ed Gilbertson, der Hot Dog King persönlich, gehörte zum Zeitpunkt der Zweihundertjahrfeier der Vereinigten Staaten mit zu dieser kleinen Gruppe von Stadtvätern; das waren seltsame Zeiten, oh yeah, in der Tat merkwürdige Zeiten. Allerdings nicht ganz so seltsam wie die gegenwärtigen: In French Landing herrschen gegenwärtig Fishermanzeiten, verwirrende Verwerfungszeiten.
Die Straßen von Libertyville tragen Namen, die Erwachsene vielleicht malerisch, Kinder aber peinlich finden. Letztere nennen den Stadtteil hier manchmal Schwulyville. Wir wollen jetzt tiefer gehen, durch die warme Morgenluft
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