Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
Unmittelbar hinter der Theke waren Wannen mit schmelzender Eiscreme der Hitze des verkrusteten Grills ausgesetzt. Von der Decke hingen schlaffe Fliegenfänger herab, deren Leimpapier unter einem Pelz aus Tausenden Fliegenleichen verschwand. Die traurige Wahrheit ist, dass Ed’s Eats über Jahrzehnte hinweg unzähligen Generationen von Bakterien und Mikroben gestattete, sich völlig ungehemmt zu vermehren und von Fußboden, Theke und Crêpe-Platte in Massen auf Spachtel, Gabel und die nie abgespülte Eiszange zu schwärmen – wobei sie natürlich auch Ed selbst besiedelten! -, um so in das grässliche Essen und letztlich in die Münder und Mägen der Kids, und manchmal einer sie begleitenden Mutter, zu gelangen, die dieses Zeug aßen.
Bemerkenswerterweise starb niemals jemand daran, dass er bei Ed’s gegessen hatte, und als dann ein längst überfälliger Herzschlag den Besitzer eines Tages dahinraffte, als er auf einen Stuhl stieg, um endlich ein Dutzend neue Fliegenfänger anzutackern, hatte niemand das Herz, seinen kleinen Schuppen abzureißen und die Trümmer zu beseitigen. Ein Vierteljahrhundert lang haben seine verrottenden Hinterlassenschaften im Schutz der Dunkelheit romantische Teenagerpärchen und
Zusammenkünfte von Jungen und Mädchen beherbergt, die einen versteckten Ort brauchten, um erstmals in der Geschichte der Menschheit – so erschien es ihnen jedenfalls – die Befreiung durch Trunkenheit zu erkunden.
Das verzückte Summen der Fliegen kündigt an, dass der Anblick, der uns in dieser Ruine erwartet, weder aus einem ermatteten jungen Liebespaar noch einigen törichten, sturzbetrunkenen Kids bestehen wird. Dieser sanfte, gierige Tumult, der nicht bis zur Straße dringt, verkündet die Gegenwart endgültiger Dinge. Wir könnten sagen, er stelle eine Art Pforte dar.
Wir treten ein. Mildes Sonnenlicht, das durch Löcher in der Ostwand und im verfallenen Dach sickert, malt leuchtende Streifen über den sandigen Fußboden. Federn und Staub wirbeln von Tierfährten und den schwachen Abdrücken vieler selbst längst vergangener Schuhe auf. Mit Schimmel gesprenkelte abgenutzte Wolldecken aus Militärbeständen liegen zusammengeknüllt an der Wand links von uns; nicht weit davon entfernt umgeben leere Bierdosen und ausgedrückte Zigarettenkippen kreisförmig eine Petroleum-Sturmlaterne, deren Glaszylinder einen Sprung hat. Das Sonnenlicht legt warme Streifen über klare Fußabdrücke, die in einem weiten Bogen um die Überreste von Eds Schmuddeltheke herum zu dem leeren Ort führen, den einst der Herd, ein Ausguss und mehrere Vorratsregale einnahmen. Dort, wo sich vordem Eds geheiligtes Reich befand, verschwinden die Fußabdrücke. Irgendeine wilde Aktivität hat den Schmutz und Staub aufgewühlt, und etwas, was mitnichten eine alte Militärdecke ist, auch wenn wir uns wünschten, es wäre eine, liegt formlos an der rückwärtigen Wand, halb in einer dunklen, unregelmäßig geformten Lache klebriger Flüssigkeit. Ekstatische Fliegen schweben über der dunklen Lache, lassen sich auf ihr nieder. In der hintersten Ecke schlägt ein zottiger rostbrauner Mischlingshund die Zähne in das Fleisch und die Knochen, die aus dem wei ßen Gegenstand ragen, den er zwischen den Vorderpfoten festhält. Bei dem weißen Gegenstand handelt es sich um einen Sportschuh, einen Laufschuh. Genau gesagt, einen Laufschuh der Marke New Balance. Genauer gesagt, einen Kinderlaufschuh der Marke New Balance, Größe 34.
Am liebsten würden wir unsere Flugfähigkeit nutzen, um möglichst schnell von hier abzuhauen. Wir möchten durchs Dach, das keinen Widerstand bieten würde, entschweben, um wieder in harmlose frische Luft zu gelangen, aber das geht nicht: Wir sind hier, um als Zeugen zu fungieren. Ein hässlicher Köter kaut also auf einem abgetrennten Kinderfuß herum und gibt sich alle Mühe, ihn aus dem weißen Laufschuh der Marke New Balance herauszubekommen. Der hagere Rücken des Mischlings ist gewölbt, die zottigen Schultern und der schmale Kopf sind tief gesenkt, die knochigen Vorderpfoten umklammern eisern die Beute, während er unablässig daran zerrt. Aber das Schuhband des Laufschuhs ist fest verknotet – Pech für den Köter.
Was das Etwas betrifft, das keine alte Militärdecke ist und außerhalb des Gewirrs aus staubigen Spuren und Furchen an der hinteren Wand liegt, so ruht dessen blasse Gestalt flach auf dem Rücken, sodass nur der Oberkörper aus der dunklen Lache ragt. Der eine Arm liegt schlaff im Schmutz
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