Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
der anderen nur eine Hand voll Blut – und erhob sein verzerrtes Gesicht, um Sonnys schreckensstarren Blick zu erwidern. Ich weiß nicht, was passiert ist. Die Stimme war hoch und kreischend, überhaupt nicht seine. Ich kann mich nicht erinnern, das getan zu haben, wie kann ich das getan haben? Hilf mir, Sonny. Ich weiß nicht, was passiert ist.
Sonny, der kein Wort herausbrachte, war rückwärts gehend
ins Freie gestolpert und mit seinem Bike davongerast. Er hatte kein bestimmtes Ziel gehabt; er hatte nur aus Harko flüchten wollen. Nach zwei Meilen Fahrt erreichte er eine Kleinstadt, eine richtige kleine Stadt mit Leuten darin, wo ihn jemand schließlich zum Sheriff’s Office brachte.
Harko: das war ein schlechter Ort gewesen. Eigentlich waren sogar beide seiner Schulfreunde dort gestorben. Sal Turso, der wegen Totschlags zu lebenslänglich verurteilt worden war, hatte sich ein halbes Jahr nach seiner Einlieferung ins Staatsgefängnis dort erhängt. In Harko waren keine Walddrosseln oder Spechte zu sehen gewesen. Selbst Spatzen machten einen weiten Bogen um Harko.
Aber dieses kleine Stück entlang des Highways 35? Nur ein netter, harmloser Mischwald. Lassen Sie sich das sagen, Senator, Sonny Cantinaro hat Harko gesehen, und das hier ist kein Harko. Es kommt ihm nicht einmal nahe. Es könnte genauso gut in einer anderen Welt liegen. Was Sonnys forschendem Blick und zunehmend ungeduldigem Geist begegnet, ist eine schön bewaldete Landschaft, die sich etwa eineinviertel Meilen weit die Straße entlangzieht. Man könnte sie als Miniwald bezeichnen. Er stellt sich vor, dass es cool wäre, hier allein rauszufahren, die Harley im Gebüsch zu verstecken und einfach unter den großen Eichen und Kiefern herumzulaufen, den weichen Filz des Waldboden unter den Füßen zu spüren und sich über die Vögel und die verrückten Eichhörnchen zu freuen.
Während Sonny schon in Vorfreude auf dieses unschuldige Vergnügen schwelgt, wandert sein Blick über die Bäume, die am jenseitigen Straßenrand Wache halten, und zwischen ihnen hindurch. Plötzlich sieht er im Dunkel neben einer riesigen Eiche etwas Weißes aufblitzen. Ganz im Bann seiner Vorstellung, allein unter dem grünen Blätterdach unterwegs zu sein, verwirft er das fast als Lichterscheinung, als kurze Illusion. Dann fällt ihm ein, wonach er ja Ausschau zu halten hat; er fährt langsamer, beugt sich zur Seite und sieht aus dem Unterholz am Fuß der Eiche ein verrostetes Einschussloch und den großen schwarzen Buchstaben Z zum Vorschein kommen. Sonny lenkt sein Bike über die Straße. Aus dem Z wird ein ZU.
Er will seinen Augen nicht trauen, aber da ist es, Mouse’ gottverdammtes Schild. Noch einen halben Meter weiter, dann kann er ZUTRITT VERBOTEN lesen.
Sonny legt den Leerlauf ein und stellt einen Fuß auf den Asphalt. Das Dunkel unter der Eiche erstreckt sich wie ein Netz zu dem Baum am Straßenrand, der ebenfalls eine Eiche, aber nicht ganz so riesig ist. Hinter ihm überqueren Doc und der Kaiser die Straße und halten ebenfalls an. Er beachtet sie nicht weiter und sieht nach vorn zu Beezer und Mouse, die schon ungefähr zehn Meter weiter sind und intensiv in den Wald auf der linken Straßenseite starren.
»He!«, schreit er. Beezer und Mouse hören ihn nicht. »He! Stopp!«
»Hast du’s?«, ruft Doc.
»Fahr diesen Arschlöchern nach und hol sie zurück«, sagt Sonny.
»Ist es da?«, fragt Doc.
»Was denkst du, was ich gefunden habe, eine Leiche? Natürlich ist’s hier.«
Doc gibt kurz Gas, hält dicht hinter Sonny und starrt in den Wald.
»Siehst du’s, Doc?«, ruft Kaiser Bill und kommt ebenfalls heran.
»Nö«, sagt Doc.
»Von dort aus ist’s auch nicht zu sehen«, erklärt Sonny ihm. »Bist du jetzt so freundlich, deinen Arsch in Bewegung zu setzen und Beezer auszurichten, dass er zurückkommen soll?«
»Warum sagst du’s ihm nicht selbst?«
»Weil ich das Scheißschild vielleicht nie wiederfinde, wenn ich diese Stelle verlasse.«
Mouse und Beezer, die inzwischen etwa dreißig Meter entfernt sind, rollen ahnungslos weiter.
»Aber ich seh’s noch immer nicht«, sagt Doc.
Sonny seufzt. »Stell dich hier neben mich.« Doc schiebt seine Fat Boy dicht neben Sonnys Bike und bewegt sie dann noch ein kleines Stück nach vorn. »Da«, sagt Sonny und deutet auf das Schild.
Doc kneift die Augen zusammen, beugt sich zur Seite und
bringt so den Kopf über Sonnys Lenker. »Wo? Ah, jetzt hab ich’s auch. Sieht verdammt mitgenommen aus.«
Die obere
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