Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
Weg ist schwer zu finden, das weiß Mouse, und er wird noch mehr zugewachsen sein als vor zwei Jahren. Er versucht, das Weiß des verbeulten Warnschilds zu finden, das ebenfalls zum Teil überwuchert sein kann. Er geht mit der Geschwindigkeit runter. Die vier Männer hinter ihm passen sich diesem Tempowechsel mit auf langer Praxis basierender Geschmeidigkeit an.
Als Einziger der Thunder Five hat Mouse ihren Zielort bereits gesehen, und in tiefster Seele kann er kaum glauben, dass er wieder dorthin unterwegs ist. Anfangs hat ihm die Leichtigkeit und Schnelligkeit gefallen, mit der seine Erinnerungen aus ihrem dunklen Verlies aufgetaucht sind; statt aber das Gefühl zu haben, mühelos einen verlorenen Teil seines Lebens zurückgewonnen zu haben, hat er jetzt den Eindruck, jenem verlorenen Nachmittag auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Eine schon damals große Gefahr – und er zweifelt nicht daran, dass irgendeine gewaltige und gefährliche Kraft ihn mit warnender Hand gestreift hat – ist jetzt noch größer geworden. Mit seiner Erinnerung ist eine trostlose Schlussfolgerung zurückgekehrt, die er längst verdrängt hatte: dass dieser
scheußliche Bau, den Jack Sawyer Black House nennt, Little Nancy Hale so sicher umgebracht hat, als hätte er sie unter seinen Dachbalken begraben. Die mehr moralische als physische Hässlichkeit von Black House hat giftige Dämpfe abgesondert. Little Nancy ist unsichtbaren Giften erlegen, die an der warnenden Hand hafteten; das muss Mouse sich jetzt nüchtern eingestehen. Er spürt ihre kleinen Hände auf seinen Schultern, und ihre zarten Knochen sind mit verwesendem Fleisch bedeckt.
Wäre ich einen Meter sechzig groß und achtundvierzig Kilo schwer gewesen, statt eins achtundachtzig bei hundertdreißig Kilo, läge ich jetzt auch unter der Erde, sagt er sich.
Auch wenn Mouse den schmalen Weg und das Schild daneben mit dem scharfen Blick eines Jagdfliegers sucht, wird ein anderer beides sehen müssen, er wird es nämlich nie wahrnehmen. Sein Unterbewusstsein hat darüber abgestimmt, und die Entscheidung ist einstimmig gefallen.
Auch die anderen Männer – Sonny, Doc, der Kaiser und sogar Beezer – haben Little Nancys Tod mit Black House in Verbindung gebracht und dabei ähnliche Größen- und Gewichtsvergleiche angestellt. Aber Sonny Cantinaro, Doc Amberson, Kaiser Bill Strassner und vor allem Beezer St. Pierre vermuten, dass die von Black House abgesonderten Gifte in einem Labor von Menschen zusammengemixt worden sind, die genau wussten, was sie taten. Diese vier Männer beziehen aus der Gesellschaft der anderen eine altbewährte, ursprüngliche Gewissheit, die ihnen seit ihrer Studienzeit vertraut ist; wenn ihnen etwas leichtes Unbehagen bereitet, dann ist es die Tatsache, dass jetzt nicht Beezer, sondern Mouse Baumann ihre Kolonne anführt. Obwohl Beezer sich von Mouse hat bereitwillig zurückwinken lassen, steckt in Mouse’ Führungsposition eine Spur von Aufsässigkeit, von Meuterei: Das Universum ist leicht aus den Fugen geraten.
Hundert Meter vor der rückwärtigen Grundstücksgrenze des Maxton beschließt Sonny, dieser Farce ein Ende zu machen. Er gibt Gas, röhrt mit seiner Softail an den anderen vorbei und setzt sich vorn neben Mouse. Mouse sieht leicht besorgt zu ihm hinüber, und Sonny deutet auf den Straßenrand.
Als alle stehen geblieben sind, sagt Mouse: »Hast du ein Problem, Sonny?«
»Das Problem bist du«, sagt Sonny. »Du hast die Abzweigung längst verpasst, oder deine ganze Story war Scheiß.«
»Ich hab doch gesagt , dass ich nicht sicher weiß, wo der Weg anfängt.« Er stellt mit ungeheurer Erleichterung fest, dass Little Nancys Hände nicht mehr seine Schultern umklammern.
»Wie denn auch. Du warst mit Acid zu!«
»Mit gutem Acid.«
»Egal, vor uns gibt’s keinen Weg mehr, das weiß ich. Bloß noch Bäume bis zu dem Heim für alte Furzer.«
Mouse begutachtet das Straßenstück vor ihnen, als könnte der Weg dort doch noch kommen, obwohl er genau weiß, dass das unmöglich ist.
»Scheiße, Mouse, wir sind praktisch in der Stadt. Ich kann von hier aus ja schon die Queen Street sehen.«
»Yeah«, sagt Mouse. »Okay.« Wenn er die Queen Street erreichen kann, denkt er, werden diese Hände sich nie mehr an ihm festklammern.
Beezer schiebt seine Electra Glide zu ihnen nach vorn und sagt: »Okay was, Mouse? Denkst du auch, dass wir daran vorbeigefahren sind, oder liegt der Weg woanders?«
Mouse runzelt die Stirn und sieht die Strecke
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