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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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hat, um sich zu verdienen, was sie gesehen hat. Jack erscheint Judy Marshall wie eine zu Unrecht inhaftierte Königin. Statt ihre angeborene hohe Gesinnung zu verbergen, unterstreichen das Krankenhausgewand und das ausgebleichte Nachthemd diese geradezu. Jack wendet den Blick von ihr ab, um die zweite Tür abzuschließen, dann tritt er einen Schritt auf sie zu.
    Er sieht, dass er ihr nichts erzählen kann, was sie nicht schon weiß. Judy vervollständigt die von ihm eingeleitete Bewegung, sie tritt vor ihn hin und streckt die Hände aus, damit er sie behutsam ergreifen kann.
    »Ich habe den ganzen Tag an dich gedacht«, sagt er, indem er ihre Hände ergreift. »Ich habe an unser Zusammensein gedacht.«
    Ihre Antwort schließt alles ein, was sie zu sehen gekommen ist, was sie gemeinsam tun müssen. »Genügt uns eine halbe Stunde?«
    »Wenn nicht, muss er eben an die Türen hämmern.«

    Sie lächeln; Judy drückt seine Hände fester. »Dann lass ihn hämmern.« Sie zieht ihn sanft, kaum merklich näher zu sich heran, und Jacks Herz jagt in Erwartung einer Umarmung.
    Was sie tut, ist aber weit außergewöhnlicher als eine bloße Umarmung: Sie senkt den Kopf und küsst mit zwei leichten, flüchtigen Berührungen ihrer trockenen Lippen seine Hände. Dann drückt sie seinen rechten Handrücken an ihre Wange und tritt einen Schritt zurück. Ihre Augen leuchten. »Du weißt von der Kassette.«
    Er nickt.
    »Ich bin ausgeflippt, als ich die Aufnahme gehört habe, aber es war ein Fehler, sie mir zu schicken. Er hat mich überfordert. Ich habe mich sofort in das Kind zurückverwandelt, das einem anderen Kind zuhört, welches ihm von jenseits einer Mauer etwas zuflüstert. Ich habe wie rasend versucht, den Wall einzureißen. Ich habe gehört, wie mein Sohn mich schreiend um Hilfe anfleht. Und er war dort – jenseits der Mauer. Wo du hingehen musst.«
    »Wo wir hingehen müssen.«
    »Wo wir hingehen müssen. Ja. Nun, ich kann nicht durch die Mauer gelangen, aber du kannst es. Also hast du die Arbeit zu verrichten, die wichtigste Arbeit, die es geben kann. Du musst Ty finden, und du musst den Abbalah stoppen. Ich weiß nicht genau, wer das ist, aber es ist deine Aufgabe , ihn zu stoppen. Sage ich das richtig: Du bist ein Schutzmann?«
    »Das sagst du richtig«, bestätigt Jack. »Ich bin ein Schutzmann. Deshalb ist’s meine Aufgabe.«
    »Dann ist Folgendes auch richtig: Du musst Gorg und seinen Herrn, Mr. Munshun, beseitigen . Das ist zwar nicht sein richtiger Name, aber so klingt er: Mr. Munshun. Als ich durchgedreht und versucht habe, die Mauer einzureißen, hat sie’s mir gesagt, und sie konnte mir unmittelbar ins Ohr flüstern. Ich war ihr so nahe!«
     
    Wie deutet Wendell Green, der Ohr und eingeschaltetes Diktiergerät an die Schranktür gepresst hält, dieses Gespräch? Es ist durchaus nicht das, was er zu hören erwartet hat: das animalische Grunzen und Stöhnen von hastig gestilltem Verlangen.
Wendell beißt die Zähne zusammen und verzieht das Gesicht zu einer frustrierten Grimasse.
     
    »Ich liebe, was du von dir offenbart hast«, sagt Jack. »Du bist eine erstaunliche Frau. Nicht einer unter tausend Menschen könnte auch nur verstehen, was das bedeutet, und es erst recht nicht tun.«
    »Du redest zu viel«, sagt Judy.
    »Das heißt, ich liebe dich.«
    »Du liebst mich auf deine Art. Aber weißt du was? Allein durch dein Herkommen hast du mehr aus mir gemacht, als ich ursprünglich war. Du sendest eine Art Strahl aus, und ich habe diesen Strahl nur aufgefangen. Jack, du hast dort drüben gelebt , während ich immer nur kurze Blicke hinüberwerfen konnte. Aber die genügen mir. Ich bin zufrieden. Du und Station D … ihr habt mich reisen lassen.«
    »Was du in dir hast, lässt dich reisen.«
    »Okay, ein dreifaches Hurra für einen ärztlich überwachten Anfall von Verrücktheit. Jetzt wird’s Zeit. Du musst ein Schutzmann sein. Ich kann nur den halben Weg mitkommen, aber du wirst all deine Stärke brauchen.«
    »Ich glaube, deine Stärke wird dich erstaunen.«
    »Nimm meine Hände und tu’s, Jack. Geh hinüber. Sie erwartet dich, und ich muss dich ihr überlassen. Du kennst ihren Namen, nicht wahr?«
    Er öffnet den Mund, aber er bringt kein Wort heraus. Eine Kraft, die aus dem Erdinnersten zu kommen scheint, durchflutet ihn, elektrisiert seinen Kreislauf, lässt seine Kopfhaut kribbeln und verschmilzt seine bebenden Finger mit Judy Marshalls Fingern, die ebenfalls zittern. Ein Gefühl ungeheurer Leichtigkeit

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