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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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sein, aber das war vor heute. Vor dem kühlen Blau ihrer Augen, ihrem Lächeln und sogar der Art und Weise, wie die Schatten, die das zerfallende Zelt wirft, Fischschwärmen
gleich über ihr Gesicht huschen. In diesem Augenblick würde er alles daran setzen, für sie von einem Berg zu fliegen, wenn sie ihn darum bäte, durch einen Waldbrand zu gehen oder ihr Polareis für ihren Eistee zu holen, und solches Ansinnen bedeutet nicht , dass einem nichts fehlt.
    Aber er muss um ihretwillen funktionieren.
    Er muss um Tylers willen funktionieren.
    Ich bin ein Schutzmann, denkt er. Anfangs erscheint ihm diese Idee im Vergleich zu ihrer Schönheit dürftig – zu ihrer schlichten Realität -, aber dann beginnt sie sich festzusetzen. Wie sie’s immer getan hat. Was hätte ihn schließlich sonst hergebracht? Gegen seinen Willen und seine besten Absichten hergebracht?
    »Jack?«
    »Nein, mir fehlt nichts. Ich bin schon früher geflippt.« Aber niemals in die Gegenwart solcher Schönheit, denkt er. Das ist das Problem. Ihr seid das Problem, Mylady.
    »Ja. Kommen und Gehen ist deine Begabung. Eine deiner Begabungen. Das habe ich gehört.«
    »Von wem?«
    »Gleich«, sagt sie. »Gleich. Es gibt sehr viel zu tun. Dennoch sollte ich einen Augenblick verschnaufen. Du … hast mir ziemlich den Atem verschlagen.«
    Jack ist ungestüm froh, das zu wissen. Er merkt, dass er noch immer ihre Hand hält, küsst sie, wie Judy in der anderen Welt jenseits der Mauer seine Hände geküsst hat, und bemerkt dabei die dünnen Mullverbände an drei ihrer Fingerspitzen. Hätte er doch nur den Mut, sie in die Arme zu schließen, aber sie schüchtert ihn ein: mit ihrer Schönheit und ihrer Ausstrahlung. Sie ist etwas größer als Judy – ungefähr zwei Fingerbreit, bestimmt nicht mehr -, und ihr Haar ist heller: das Goldgelb ungeschleuderten Honigs, das von einem angeknacksten Steckkamm zusammengehalten wird. Sie trägt ein schlichtes weißes Baumwollkleid mit blauen Besätzen in der Farbe ihrer Augen. Der schmale V-Ausschnitt rahmt den Hals ein. Der Saum befindet sich knapp unterhalb der Knie. Die Beine sind nackt, aber an einem Knöchel trägt sie ein fast unsichtbar dünnes silbernes Fußkettchen. Sie ist vollbusiger als Judy, die Hüften
sind etwas breiter. Schwestern , könnte man glauben, wenn sie nicht beide dieselbe kleine Wolke aus Sommersprossen quer über die Nase und dieselbe weiße Narbe quer über dem linken Handrücken hätten. Gänzlich unterschiedliche Missgeschicke haben diese Narbe zurückgelassen, dessen ist Jack sich sicher, andererseits bezweifelt er auch nicht, dass diese Missgeschicke sich am selben Tag zur selben Stunde ereignet haben.
    »Du bist ihr Twinner. Judy Marshalls Twinner.« Nur lautet das Wort, das aus seinem Mund kommt, nicht Twinner ; auf unerklärlich dämliche Weise klingt es wie Harfe . Später wird er daran denken, wie eng die Saiten einer Harfe beieinander liegen, nur durch eine Fingerbreite getrennt, und sich überlegen, dass dieses Wort wohl doch nicht so töricht ist.
    Sie senkt den Blick, lässt die Mundwinkel hängen, dann hebt sie den Kopf wieder und setzt zu einem Lächeln an. » Judy. Auf der anderen Seite der Mauer. Als Kinder haben wir oft miteinander geredet, Jack. Sogar noch als Erwachsene, aber dann nur noch in unseren Träumen.« Mit Bestürzung sieht er, dass sich in ihren Augen Tränen bilden, die ihr dann übers Gesicht laufen. »Ist sie durch meine Schuld verrückt geworden? Habe ich sie in den Wahnsinn getrieben? Bitte sag, dass ich’s nicht getan habe.«
    »Nein, nein«, sagt Jack. »Sie vollführt zwar einen Drahtseilakt, aber sie ist noch nicht runtergefallen. Sie ist zäh, die kleine Judy.«
    »Du musst ihr Tyler zurückbringen«, sagt Sophie ernst. »Für uns beide. Ich habe nie ein Kind gehabt. Ich kann kein Kind bekommen. Ich bin nämlich … misshandelt worden. Als kleines Mädchen. Von jemandem, den du sehr gut gekannt hast.«
    In Jacks Kopf bildet sich eine schreckliche Gewissheit heraus. Um ihn und Sophie herum flattert und seufzt der zerfetzte Pavillon in der wundervoll duftenden Brise.
    »War es Morgan? Morgan von Orris?«
    Sie senkt den Kopf, und das ist wahrscheinlich auch gut so. Jacks Gesicht ist in diesem Augenblick zu einer hässlichen, zähnefletschenden Grimasse verzerrt. In diesem Augenblick würde er nichts lieber tun, als Morgan Sloats Twinner nochmals zu ermorden. Er überlegt, ob er sie fragen soll, wie sie
misshandelt worden ist, merkt aber dann, dass er das

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