Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
die es belagern. »Was trifft in den besten Lily-Cavanaugh-Westernfilmen immer im letzten Augenblick ein?«
»Die Kavallerie«, sagt Jack. »Die sind vermutlich wir.«
»Nein«, sagt Parkus. Sein Tonfall bleibt geduldig, aber Jack hat den Verdacht, dass ihn das große Anstrengung kostet. »Die Kavallerie sind Roland von Gilead und seine neuen Revolvermänner.
Zumindest wagen das diejenigen unter uns zu hoffen, die wünschen, der Turm möge stehen bleiben – oder eines Tages von selbst einstürzen. Der Scharlachrote König dagegen hofft, Roland aufhalten und den Turm zerstören zu können, während Roland und seine Gefährten noch in der Ferne sind. Dazu muss er möglichst viele Brecher zusammenziehen, vor allem die Telekinetiker.«
»Ist Tyler Marshall …«
»Unterbrich mich nicht! Das Ganze ist ohnehin schon schwierig genug.«
»Früher warst du verdammt viel fröhlicher, Speedy«, sagt Jack vorwurfsvoll. Einen Augenblick lang glaubt er, sein alter Freund werde ihn nochmals zusammenstauchen – oder vielleicht völlig die Beherrschung verlieren und ihn in einen Frosch verwandeln -, aber Parkus entspannt sich nur etwas und lacht sogar.
Sophie blickt erleichtert auf und drückt flüchtig Jacks Hand.
»Na ja, vielleicht hast du Recht, wenn du mich ein bisschen zurückpfeifst«, sagt Parkus. »Hat keinen großen Zweck, sich in irgendwas reinzusteigern, was?« Er berührt das große Schießeisen an seiner Hüfte. »Würd mich nicht wundern, wenn ich dadurch, dass ich dieses Ding mit mir rumschleppe, eine Prise Größenwahn abgekriegt hätte.«
»Damit stehst du gerade einmal ein, zwei Stufen über dem Pförtner eines Vergnügungsparks«, sagt Jack verschmitzt.
»In der Bibel – in deiner Welt, Jack -, aber auch im Buch vom guten Wirtschaften – in deiner , Sophie, meine Liebe – heißt es sinngemäß: ›Denn in meinem Königreich gibt es viele Wohnungen.‹ Nun, am Hof des Scharlachroten Königs gibt es viele Unholde. «
Jack hört sich kurz und bellend lachen. Sein alter Freund hat einen typisch geschmacklosen Polizistenscherz gemacht, wie es scheint.
»Es gibt die Höflinge des Königs … seine fahrenden Ritter. Sie haben alle möglichen Pflichten, vermute ich mal, aber in letzter Zeit besteht ihre Hauptaufgabe darin, talentierte Brecher zu finden. Je talentierter der Brecher, desto höher die Belohnung.«
»Kopfjäger also«, murmelt Jack und erkennt die wahre Bedeutung dieses Wortes erst, als er es ausgesprochen hat. Er hat es im übertragenen Sinn von »Talentsucher« gebraucht, aber es hat natürlich auch eine andere, eine ursprüngliche Bedeutung. Kopfjäger sind Kannibalen.
»Genau«, sagt Parkus. »Und sie haben sterbliche Unteragenten, die aus … man mag nur ungern sagen, dass sie aus Spaß an der Sache arbeiten, aber wie soll man’s sonst nennen?«
Das löst bei Jack eine albtraumhafte Vision aus: Albert Fish als Cartoonfigur, die mit dem Schild ARBEITE FüR ESSEN auf einem New Yorker Gehsteig steht. Er drückt Sophie enger an sich. Ihre blauen Augen wenden sich ihm zu, und er blickt freudig in sie hinein. Sie beruhigen ihn.
»Wie viele Brecher hat Albert Fish seinem Kumpel Mr. Monday geschickt?«, fragt Jack nun. »Zwei? Vier? Ein Dutzend? Und sterben sie wenigstens weg, damit der Abbalah sie ersetzen muss?«
»Mitnichten«, antwortet Parkus ernst. »Sie werden an einem Ort gefangen gehalten – in einem unterirdischen Gewölbe, einer Höhle -, in der im Prinzip keine Zeit existiert.«
»Im Fegefeuer. Mein Gott!«
»Ihre genaue Zahl spielt überhaupt keine Rolle. Albert Fish ist längst tot. Mr. Monday ist jetzt Mr. Munshun. Das Abkommen, das Mr. Munshun mit deinem gesuchten Killer getroffen hat, ist ganz einfach: Burnside darf so viele Kinder ermorden und essen, wie er will, solange es untalentierte Kinder sind. Sollte er jedoch welche finden, die das Talent zum Brecher haben, muss er sie sofort Mr. Munshun übergeben.«
»Der sie zum Abbalah bringt«, murmelt Sophie.
»So ist es«, sagt Parkus.
Jack hat das Gefühl, wieder auf relativ festem Boden zu stehen, und ist sehr froh, dort angelangt zu sein. »Und weil Tyler nicht ermordet wurde, muss er also talentiert sein.«
»›Talentiert‹ ist in diesem Fall kaum der richtige Ausdruck. Tyler Marshall ist potenziell einer der beiden mächtigsten Brecher in der Geschichte aller Welten. Kehren wir kurz zu der Analogie mit dem von Indianern eingeschlossenen Fort zurück, könnten wir sagen, dass die Brecher Feuerpfeilen gleichen,
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