Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
Füßen zu sitzen. Neben ihnen ist der Couchtisch samt Glasplatte umgekippt, die Zeitschriften, die auf ihm gestapelt waren, liegen auf dem Boden verstreut. Manche scheinen buchstäblich aus ihren Sammelbänden gefetzt worden zu sein.
Weitere Schreie auf dem Korridor, dazu meckerndes Lachen und irres Geheul. Ethan Evans brüllt die vorbeiziehenden Geisteskranken weiter an, und jetzt kreischt auch eine Frau dazwischen – vielleicht Oberschwester Rack. Die Feuermelder schrillen unermüdlich weiter.
Plötzlich springt eine Tür auf, und Wendell Green kommt in den Raum galoppiert. Hinter ihm befindet sich ein Einbaukleiderschrank mit einem wüsten Gewirr aus Kleidungsstücken: Dr. Spieglemans Reservegarderobe in wildem Durcheinander. In einer Hand hält Wendell ein Panasonic-Diktiergerät, in der anderen mehrere glänzende zylinderförmige Gegenstände. Jack würde jede Wette eingehen, dass das Batterien sind.
Jacks Kleidungsstücke sind aufgeknöpft (oder vielleicht durch einen Windstoß aufgeblasen worden), aber Wendell ist es viel schlimmer ergangen. Sein Hemd ist zerfetzt. Sein Wanst quillt über weiße Boxershorts, die vorn große Pisseflecken aufweisen. Seine braune Gabardinehose schleppt er an einem Fuß hinter sich her. Sie gleitet wie eine abgestreifte Schlangenhaut über den Teppich. Und obwohl er die Socken anhat, scheint der linke nach außen gekehrt zu sein.
»Was haben Sie gemacht?«, plärrt Wendell. »Oh, Sie Hollywood-Hundesohn, was haben Sie m…«
Er verstummt. Der Mund bleibt ihm offen stehen. Die Augen werden groß wie Untertassen. Jack bemerkt, dass die Haare des Reporters wie die Stacheln eines Stachelschweins abzustehen scheinen.
Wendell bemerkt seinerseits, dass Jack Sawyer und Judy Marshall sich auf dem mit Papier und Glasscherben übersäten Fußboden mit in Unordnung geratener Kleidung umarmt halten. Er hat sie nicht ganz in flagranti ertappt, aber wenn er jemals zwei Menschen kurz davor gesehen hat, dann sind’s diese beiden. Ihm wirbelt der Kopf, sein Verstand ist mit unmöglichen Erinnerungen angefüllt, sein seelisches Gleichgewicht ist dahin, sein Magen tuckert wie eine mit Wäsche und Waschmittel überladene Waschmaschine; er braucht dringend etwas, an das er sich klammern kann. Er braucht Nachrichten. Oder, noch besser, einen Skandal . Und hier auf dem Fußboden vor ihm liegt beides.
»Vergewaltigung!«, brüllt Wendell, so laut er kann. Ein verrücktes, erleichtertes Grinsen zieht ihm die Mundwinkel nach oben. »Sawyer hat mich zusammengeschlagen, und jetzt vergewaltigt er eine psychisch Kranke!« Eigentlich sieht das Ganze für Wendell nicht sehr nach einer Vergewaltigung aus, aber wer hätte jemals mit Stentorstimme Einvernehmlicher Sex! gerufen und damit die geringste Aufmerksamkeit erregt?
»Sorg dafür, dass dieser Idiot die Klappe hält«, sagt Judy. Sie zieht den Saum ihres Nachthemds mit einem Ruck herunter und richtet sich auf.
»Vorsicht«, sagt Jack. »Überall liegen Glassplitter.«
»Das sehe ich auch«, faucht sie. Dann wendet sie sich mit der vollkommenen Furchtlosigkeit, die Fred so gut kennt, an den Reporter. »Mund halten! Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber hören Sie mit diesem Gebrüll auf. Hier wird niemand …«
Wendell weicht vor Hollywood-Sawyer zurück und schleppt dabei die Hose weiter mit sich herum. Warum kommt niemand?, denkt er . Warum kommt niemand, bevor er mich erschießt oder sonst was vorhat? In seiner an Hysterie grenzenden panischen Angst hat Wendell das Schrillen der Feuermelder und das Geschrei auf den Gängen nicht wahrgenommen oder hält den Lärm für bloße Einbildung – für eine weitere
kleine Fehlinformation, die zu seinen absurden »Erinnerungen« passt, in denen ein schwarzer Revolvermann, eine schöne Frau in einem schlichten weißen Baumwollkleid und ein Wendell Green vorkommen, der im Staub hockt und wie ein Höhlenmensch einen halb garen Vogel verschlingt.
»Rühren Sie mich nicht an, Sawyer«, sagt er, indem er mit abwehrend ausgestreckten Händen vor ihm zurückweicht. »Ich habe einen extrem hungrigen Anwalt. Hebe dich hinfort, du Arschloch, wenn Sie mich auch nur anfassen, nehmen er und ich Ihnen alles ab, was Sie … Au! Au!«
Wendell ist in eine Glasscherbe getreten, das sieht Jack – vermutlich in Scherben von einem der gerahmten Drucke, die zuvor die Wände geschmückt haben, aber jetzt den Fußboden zieren. Wendell macht einen weiteren schwankenden Schritt rückwärts, stolpert diesmal über die
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