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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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sie antworten kann, fasst er Wendell an der Hand, schließt die Augen und flippt.

22
    Diesmal nimmt er etwas wahr, was nicht völliger Stille entspricht: ein herrliches weißes Rauschen, das er schon einmal irgendwo gehört hat. Im Sommer 1997 war Jack mit einem Fallschirmspringerclub des LAPD, der sich P. F. Flyers nannte, weit nach Norden, nach Vacaville, gefahren. Es war um eine Mutprobe gegangen, eine dieser dämlichen Sachen, in die man gerät, wenn man spät nachts zu viele Biere getrunken hat, und aus denen man nicht mehr herauskann. Jedenfalls nicht mit Anstand. Oder anders gesagt: nicht, ohne als Feigling dazustehen. Er hatte erwartet, Angst zu haben, stattdessen bot sich ihm ein überglückliches Gefühl an. Trotzdem war er nie wieder gesprungen, und inzwischen weiß er auch, warum: Er war zu nahe daran gewesen, sich zu erinnern, und irgendein ver ängstigter Teil seines Ichs musste das gespürt haben. Es war das Geräusch gewesen, bevor man die Reißleine zog – dieses herrliche weiße Luftrauschen im freien Fall. Sonst war nichts zu hören, nichts außer dem leisen, raschen Schlagen des eigenen Herzens und vielleicht einem Knacken in den Ohren, während man Speichel hinunterschluckte, der sich wie man selbst in freiem Fall befand.
    Zieh die Reißleine, Jack, sagt er sich. Höchste Zeit, die Reißleine zu ziehen, sonst wird die Landung verdammt hart.
    Jetzt ist ein neues Geräusch zu hören, anfangs nur leise, aber rasch zu ohrenbetäubendem Lärm anschwellend. Feuermelder, denkt er, und dann: Nein, das ist eine Symphonie von Feuermeldern. Im selben Augenblick wird Wendell Greens Hand aus
seiner gerissen. Er hört einen matten, krächzenden Schrei, mit dem sein Mitspringer weggeschleudert wird, und nimmt dann einen vertrauten Duft wahr …
    Jelängerjelieber …
    Nein, das ist ihr Haar …
    … und Jack keucht unter einer Last auf Brust und Zwerchfell, unter dem Gefühl, völlig außer Atem zu sein. Er spürt Hände an seinem Körper, die eine auf der Schulter, die andere unter dem Kreuz. Haare kitzeln ihn im Gesicht. Das Schrillen der Feuermelder. Die Stimmen von Leuten, die verwirrt durcheinander schreien. Rennende, klackende Schritte, die von Wänden widerhallen.
    »Jack Jack Jack fehlt dir auch nichts«
    »Kaum verabredet man sich mal mit einer Königin, und schon wird man ausgezählt«, murmelt er. Warum ist es so dunkel? Ist er geblendet worden? Kann er jetzt den intellektuell anspruchsvollen und finanziell lohnenden Job eines Schiedsrichters im Miller Park übernehmen?
    »Jack!« Eine Hand schlägt ihm ins Gesicht. Fest.
    Nein, nicht blind. Er hat die Augen geschlossen. Als er sie aufreißt, ist Judy über ihn gebeugt, ihr Gesicht nur eine Handbreit von seinem entfernt. Ohne nachzudenken, vergräbt er seine Hand in ihrem Nackenhaar, zieht ihr Gesicht zu sich herab und küsst sie. Judy atmet in seinen Mund aus – ein überraschtes umgekehrtes Luftholen, das seine Lunge mit ihrer Elektrizität füllt -, dann erwidert sie seinen Kuss. Mit solcher Intensität ist er noch niemals geküsst worden. Er greift nach der Brust unter ihrem Nachthemd und fühlt dort das hektische Jagen ihres Herzens – würde sie noch schneller rennen, würde sie stolpern und hinschlagen, denkt Jack – unter der straffen Wölbung. Im selben Augenblick lässt sie ihrerseits die Hand in sein Hemd gleiten, das irgendwie nicht mehr zugeknöpft ist, und kneift ihn in die Brustwarze. Das fühlt sich heftig und heiß an, wie der Schlag ins Gesicht. Während sie das tut, stößt sie die Zunge in ihn, rasch hinein und wieder heraus wie ein Kolibri in eine Blume. Er packt sie fester im Nacken, und Gott weiß, was als Nächstes passiert wäre, aber in diesem Augenblick fällt auf dem Korridor etwas Gläsernes mit gewaltigem
Klirren und Scheppern um, und irgendjemand kreischt. Vor Panik ist die Stimme fistelig und fast geschlechtslos, aber Jack glaubt zu erkennen, dass sie Ethan Evans, dem mürrischen jungen Wärter auf Station D, gehört. »Komm zurück! Bleib stehen, verflixt noch mal!« Natürlich ist das Ethan; nur ein Absolvent der Sonntagsschule der Mount Hebron Lutheran würde selbst in extremis das Wort verflixt gebrauchen.
    Jack weicht von Judy zurück. Judy weicht von ihm zurück. Sie liegen auf dem Fußboden. Judys Nachthemd ist bis zur Taille hochgerutscht und lässt einen einfachen weißen Nylonslip sehen. Jacks Hemd ist offen, die Hose ebenfalls. Er hat die Schuhe an, aber dem Gefühl nach scheinen sie an vertauschten

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