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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Industrielle und hohe Beamte sind es gewöhnt, Probleme anzupacken. Hier war jedoch allen klar, daß ihnen jemand sein Innerstes preisgab.
    Saul Nathanson beugte sich vor und klopfte auf das Schwarze Manifest. »Dieses Dokument steht für das Böse. Der Mann, der es verfaßt hat, steht für das Böse. Und da sollen wir uns einfach abwenden und es wieder geschehen lassen?«
    Die Teilnehmer nickten stumm. Jeder wußte, daß Nathanson mit »es« einen zweiten Holocaust meinte – nicht nur an den Juden in Rußland, sondern ebenso an anderen ethnischen Minderheiten.
    Die Worte der früheren britischen Premierministerin brachen das Schweigen: »Ich stimme zu. Jetzt ist nicht die Zeit, den Schwanz einzuziehen.«
    Drei Mitglieder verbargen rasch den Mund hinter den Händen. Aufs Wort denselben Satz hatten sie zuletzt in einem Apartment in Aspen, Colorado, am Tag nach Saddam Husseins Überfall auf Kuweit gehört. George Bush, James Baker und General Powell waren zugegen gewesen. Trotz ihrer dreiundsiebzig Jahre nahm sie nach wie vor kein Blatt vor den Mund.
    Ralph Brooke, Vorsitzender der gigantischen Intercontinental Telecommunications Corporation, an jeder Börse der Welt auch als InTelCor bekannt, beugte sich vor. »Okay«, brummte er, »was
können
wir dann tun?«
    »Sämtliche Regierungen der NATO-Staaten auf diplomatischem Weg in Kenntnis setzen und zum Protest auffordern«, schlug ein ehemaliger Diplomat vor.
    »Dann würde Komarow das Manifest sofort als böswillige Fälschung brandmarken, und ein Großteil der russischen Bevölkerung würde ihm glauben«, widersprach ein anderer.
    James Baker wandte sich an Nigel Irvine. »Sie haben dieses erschreckende Dokument mitgebracht. Wozu raten Sie denn?«
    »Ich rate zu gar nichts«, antwortete Irvine. »Aber ich kann Ihnen ein Rezept anbieten. Der Council müßte eine Initiative gutheißen nicht selbst in die Wege leiten, sondern nur gutheißen –, die so verdeckt wäre, daß, komme, was da wolle, niemand in diesem Raum damit in Verbindung gebracht werden könnte.«
    Siebenunddreißig Mitglieder wußten sehr genau, wovon er sprach. Jedes einzelne hatte als unmittelbar Betroffener oder Zeuge das Scheitern einer angeblich verdeckten Operation und die darauffolgenden Erschütterungen bis hinauf in die höchsten Ebenen miterlebt.
    Von dem Tisch, an dem ein früherer US-Außenminister saß, meldete sich eine metallische Stimme mit deutschem Akzent: »Ist Nigel zu einer so verdeckten Operation in der Lage?«
    »Ja«, antworteten unisono zwei Briten.
    In seiner Zeit als Chef des britischen Geheimdienstes hatte Sir Nigel gleichermaßen Margaret Thatcher und ihrem Außenminister Lord Carrington unterstanden.
    Der Council of Lincoln faßte nie formelle Beschlüsse, die schriftlich festgehalten wurden. Er erzielte mündliche Übereinkünfte, auf deren Grundlage jedes Mitglied seinen Einfluß in den Vorzimmern der Macht in seinem Land geltend machte, um so den vereinbarten Zielen Vorschub zu leisten.
    In bezug auf das Schwarze Manifest traf der Rat lediglich die Vereinbarung, die Prüfung und gegebenenfalls Einleitung der geeignetsten Schritte an ein kleineres Komitee zu delegieren. Die Vollversammlung war sich einig darüber, daß sie mögliche Folgen weder gutheißen noch verurteilen, noch auf irgendwo gefaßte Beschlüsse zurückführen würde.
Moskau, September 1990
    Oberst Anatoli Grischin saß in seinem Büro im Lefortowo-Gefängnis am Schreibtisch und studierte drei Dokumente, die soeben bei ihm eingegangen waren. Er wurde schier zerrissen von zwei Gefühlen, die gegensätzlicher nicht hätten sein können.
    Zuallererst empfand er Triumph. Im Sommer hatten ihm die Leute von der Gegenspionage in der Ersten und der Zweiten Hauptverwaltung in kurzer Aufeinanderfolge drei Verräter präsentiert.
    Der erste war der Diplomat Kruglow gewesen. Zwei Umstände hatten zu seiner Entlarvung geführt: Er hatte in der Botschaft von Buenos Aires gedient, und er hatte sich kurz nach seiner Rückkehr eine Wohnung für zwanzigtausend Rubel gekauft.
    Ohne zu zögern hatte er alles zugegeben und gegenüber den hinter laufenden Tonbändern sitzenden Vernehmungsbeamten sein gesamtes Wissen ausgebreitet. Nach sechs Wochen hatte er nichts mehr zu berichten gewußt und war in eines der tiefsten Verliese gesteckt worden, wo selbst im Sommer die Temperaturen kaum über ein Grad Celsius klettern. Dort hockte er zähneklappernd und harrte seines weiteren Schicksals, das nun mit einem der vor Grischin

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