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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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steigerte sich zu einem Brüllen. »Ich komme, geliebte Mutter. Ich, Igor, dein Sohn, bin bald bei dir.«
    Das letzte Wort ging unter in einem von den Ordnern dirigierten tosenden Schlachtgesang: KO-MA-ROW! KO-MA-ROW!
    Der Projektor wurde ausgeschaltet, und das Bild verschwand. Kurz herrschte Stille, dann atmeten alle Zuschauer auf.
    Als die Lichter angingen, trat Nigel Irvine nach vorn an das Kopfende der hufeisenförmig aufgestellten Kiefernholztische.
    »Ich glaube, Sie alle wissen, wen Sie da gesehen haben«, sagte er mit leiser Stimme. »Das war Igor Wiktorowitsch Komarow, Führer der Union der Patriotischen Kräfte, der Partei, die aller Voraussicht nach die Wahl im nächsten Januar gewinnen und Mr. Komarow zum Präsidenten bestimmen wird.
    Ihnen wird nicht entgangen sein, daß es sich um einen begnadeten Redner mit außerordentlichem Charisma handelt.
    Wie Sie ferner wissen, liegt in Rußland die Macht bereits jetzt zu achtzig Prozent in den Händen des Präsidenten. Seit Jelzins Zeit sind die Kontrollmechanismen, die unsere Gesellschaften am Leben erhalten, systematisch abgebaut worden. Der russische Präsident kann heute nach Belieben regieren und per Dekret jedes Gesetz durchpeitschen. Das kann sehr leicht auch die Rückkehr zum Einparteienstaat bedeuten.«
    »Wäre das angesichts des Zustands, in dem sich das Land zur Zeit befindet, denn wirklich so schlecht?« fragte eine ehemalige UN-Botschafterin aus den USA.
    »Nicht unbedingt«, erwiderte Irvine. »Aber ich habe den Rat nicht deswegen um Redezeit gebeten, um mit Ihnen über die Perspektiven Rußlands nach Igor Komarows Wahl zu diskutieren, sondern um Ihnen ein meiner Überzeugung nach authentisches Dokument vorzulegen, das die Entwicklung dieses Landes entscheidend beeinflussen wird. Ich habe es zusammen mit einem Bericht aus England mitgebracht und beides hier im Büro für jeden von Ihnen fotokopiert.«
    »Ich hatte mich schon gefragt, wozu Sie soviel Papier brauchen«, meinte Saul Nathanson grinsend.
    »Es tut mir leid, wenn ich Ihr Kopiergerät über Gebühr in Anspruch genommen habe, Saul, aber ich wollte nicht zweimal achtunddreißig Stöße über den Atlantik transportieren. Ich bitte Sie nicht, diese Dokumente jetzt schon zu überfliegen, sondern sie mitzunehmen und in aller Ruhe zu studieren. Bitte lesen Sie zuerst den Bericht mit dem Stempel ›Beglaubigung‹ und danach das Schwarze Manifest. Ich möchte Sie noch darauf hinweisen, daß wegen des Papiers, das Sie heute abend lesen werden, drei Männer sterben mußten. Da beide Dokumente streng geheim sind, muß ich Sie bitten, sie vor dem Verlassen dieses Anwesens zu verbrennen.« Von der Zwanglosigkeit, die dieses Treffen bisher ausgezeichnet hatte, war nichts mehr zu spüren, als die Mitglieder sich mit den Kopien in ihre Zimmer zurückzogen. Zum Erstaunen der Bediensteten erschien an diesem Abend niemand zum Dinner. Alle Gäste ließen es sic h aufs Zimmer bringen.
Langley, August 1990
    Die Hiobsbotschaften aus den CIA-Abteilungen häuften sich. Im Juli stand endgültig fest, daß Orion, dem Jäger, etwas zugestoßen war. Der Mann, der sonst die Zuverlässigkeit in Person war, hatte den routinemäßigen »Rempler« versäumt.
    Ein Rempler ist ein primitiver Trick, der niemanden in Gefahr bringt. Zu einem bestimmten, vorher verabredeten Zeitpunkt läuft der Agent die Straße hinunter, wobei es keine Rolle spielt, ob ihm jemand folgt oder nicht. Abrupt bleibt er stehen und betritt ein Restaurant, Cafe oder ein anderes menschenüberfülltes Lokal. Kurz vor seinem Erscheinen hat seine Kontaktperson gerade bezahlt und geht zum Ausgang. Ohne Blickkontakt herzustellen, streifen sie einander, und einer läßt ein Päckchen, nicht größer als eine Streichholzschachtel, in die Tasche des anderen gleiten. Beide gehen ohne anzuhalten weiter, der eine zum freigewordenen Tisch, der andere zur Straße. Falls ein Beschatter gefolgt sein sollte, ist die Aktion bei seinem Eintreten längst abgeschlossen.
    Aber nicht nur diesen Kontakt hatte Oberst Solomin versäumt, er hatte auch zweimal keine Nachrichten aus dem toten Briefkasten abgeholt, obwohl er die Kreidezeichen nicht hätte übersehen dürfen. Das ließ nur einen Schluß zu: Solomin war ausgefallen oder eliminiert worden. Was immer ihm zugestoßen sein mochte, es war plötzlich und ohne jede Vorwarnung geschehen.
    Aus Westberlin traf die Nachricht ein, daß sowohl Pegasus' monatlicher Brief an die sichere Ostberliner Adresse als auch die übliche

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