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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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wo ist das Problem, Professor? Er ist doch tot, oder?«
    »Natürlich ist er tot, Sie Hampelmann!« Die Stimme am anderen Ende überschlug sich vor Wut. »Ich hätte keine Einzelteile in meinem Labor, wenn er noch rumliefe.«
    »Wo ist dann das Problem? Ich arbeite seit Jahren im Morddezernat und habe noch nie einen gesehen, der so tot war wie der da.«
    Der Mann vom gerichtsmedizinischen Labor schlug auf einmal einen Ton an, als müsse er einem begriffsstutzigen Kind etwas erklären: »Die Frage, mein lieber Borodin, ist nur:
Wer
ist tot?«
    »Der amerikanische Tourist natürlich, wer sonst? Sie haben doch die Knochen.«
    »Ja, ich habe Knochen, Inspektor Borodin.« So wie der Professor das Wort »Inspektor« betonte, schien er ernsthaft zu bezweifeln, ob der Polizist ohne Blindenhund die Toilette finden würde. »Ich hätte aber auch Gewebe-, Muskel- und Sehnenfetzen, Fragmente von Haaren, Nägeln, Eingeweiden und vielleicht auch ein paar Gramm Knochenmark erwartet. Aber was habe ich? Knochen, Knochen, nichts als Knochen!«
    »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen. Was ist so schlimm an Knochen?«
    Das bißchen Geduld des Professors war endgültig aufgebraucht. Auf einmal brüllte er los, daß Borodin den Hörer auf Armeslänge von sich weghalten mußte.
    »Überhaupt nichts ist mit den Scheißknochen! Es sind wunderbare Knochen. Und das schon seit zwanzig Jahren! So lange liegt ihr früherer Eigentümer nämlich meiner Einschätzung nach unter der Erde! Verstehen Sie jetzt, was ich die ganze Zeit in Ihr stecknadelgroßes Gehirn hämmern will? Jemand hat die Mühe auf sich genommen, ein Skelett, wie es jeder Medizinstudent in seiner Bude stehen hat, in die Luft zu jagen!«
    Borodins Mund klappte auf und zu wie ein Fischmaul. »Der Amerikaner war nicht im Zimmer?« brachte er hervor.
    »Nicht, als die Bombe hochging. Wer war das überhaupt? Oder, da er ja wahrscheinlich noch lebt: Wer ist das?«
    »Keine Ahnung. Irgend so ein Gelehrter.«
    »Aha, ein Intellektueller. Einer wie ich. Na gut, richten Sie ihm aus, daß mir sein Sinn für Humor gefällt. Wohin soll ich meinen Bericht schicken?«
    Das hätte Borodin noch gefehlt, daß der Bericht bei ihm auf dem Schreibtisch gelandet wäre. Er gab den Namen eines Generalmajors im Präsidium an.
    Der Generalmajor erhielt ihn noch am Nachmittag. Er rief sogleich Grischin an und erstattete Meldung. Einen Bonus bekam er nicht.
    Bis zum Einbruch der Nacht hatte Anatoli Grischin seine Privatarmee mobilisiert – ein riesiges Heer von Informanten. Tausende Kopien von Monks Paßfoto wurden unter den Mitgliedern der Schwarzen Garde und der Jungen Kämpfer in Umlauf gebracht, die sogleich auf die Straßen Moskaus ausschwärmten und die gesamte Hauptstadt nach dem Gesuchten durchkämmten. Der Aufwand, der hier betrieben wurde, stellte die Fahndung nach Leonid Saizew, dem vorübergehend verschollenen Raumpfleger, noch in den Schatten.
    Weitere Kopien, verbunden mit der Anweisung, den Mann zu ergreifen und festzuhalten, ergingen an die Clanchefs der Dolgoruki-Mafia. Zudem wurden Informanten bei der Polizei und in den Einreisebehörden alarmiert. Für die Ergreifung des Flüchtigen wurde eine Belohnung von hundert Milliarden Rubel ausgesetzt – trotz grassierender Inflation eine gewaltige Summe.
    Angesichts eines solchen Heuschreckenschwarms könne sich der Amerikaner nirgendwo lange verstecken, versicherte Grischin Igor Komarow. Dieses Netz von Informanten decke jeden Winkel und jede Ritze Moskaus ab. Für den Amerikaner bleibe kein Schlupfloch, wenn er sich nicht gerade in der eigenen Botschaft verstecke. Aber dort könne er keinen Schaden mehr anrichten und würde trotzdem irgendwann entdeckt.
    Grischin hatte fast recht. Es gab allerdings einen Ort, in den die Russen nicht eindringen konnten: die hermetisch abgeriegelte Welt der Tschetschenen.
    Und in dieser Welt hatte Jason Monk Aufnahme gefunden. Er lebte in einer sicheren Wohnung über einem Gewürzladen und stand unter dem persönlichen Schutz von Magomed, Aslan und Scharif. Darüber hinaus gab es einen Schirm aus unsichtbaren Leuten auf den Straßen, die das Nahen eines Russen bemerkten, wenn er noch eine Meile entfernt war, und die Nachricht in einer Sprache weitergaben, die außer ihnen keiner verstand.
    Wie dem auch sein mochte, Monk hatte seinen zweiten Kontakt bereits hergestellt.
    Von allen Soldaten Rußlands, ob noch im Dienst oder pensioniert, stand keiner in so hohem Ansehen wie General Nikolai Nikolajew. Obwohl er

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