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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Tempo rasten sie den gegenüberliegenden Hang hinauf, und schon verschwand der erste aus seinem Blickfeld.
    Ehe Nikolai wußte, wie ihm geschah, stellte ihn jemand auf die Beine. Es war ein echter Oberst. Der Mann sah die zehn zerstörten Panzer, sechs russische und vier deutsche, von denen drei in der Nähe von Nikolais Fahrzeug lagen.
    »Warst du das?« fragte er.
    Nikolai hörte die Stimme kaum, so sehr dröhnten ihm die Ohren. Und ihm war übel. Er brachte nur ein Nicken zustande.
    »Komm mit«, sagte der Oberst und führte den Jungen zu einem Armeelaster, der auf der anderen Seite des Grats stand. Damit fuhren sie in ein dreizehn Kilometer entferntes Feldlager. Vor dem größten Zelt standen über einen mit Landkarten bedeckten Tisch gebeugt ein gutes Dutzend hoher Offiziere. Der Oberst hielt an, ging auf seine Vorgesetzten zu und salutierte. Der ranghöchste General sah auf.
    Nikolai saß noch immer auf dem Beifahrersitz. Von dort aus verfolgte er, wie der Oberst sprach und die Offiziere zu ihm herübersahen. Dann hob der General die Hand und winkte ihn zu sich. Voller Bangen, weil er zwei Tiger hatte entkommen lassen, näherte sich Nikolai den Männern. Sein Baumwollhemd war versengt, sein Gesicht rußverschmiert, und er selbst stank nach Öl und Kordit.
    »Drei Tiger?« fragte General Pawel Rotmistrow, der Oberbefehlshaber des Panzerregiments. »Von hinten? Von einem beschädigten KV1 aus?«
    Nikolai stand wie ein begossener Pudel vor ihm und brachte kein Wort heraus.
    Der General wandte sich lächelnd an einen vierschrötigen Mann mit Schweinsäuglein und den Ehrenzeichen eines politischen Kommissars. »Finden Sie nicht auch, daß das ein Stückchen Metall wert ist?«
    Der untersetzte Kommissar nickte. Genosse Stalin wäre sicher auch zufrieden. Aus dem Zelt wurde eine Schachtel gebracht, und Rotmistrow heftete dem Siebzehnjährigen den Orden »Held der Sowjetunion« an die Brust. Der Kommissar, ein gewisser Nikita Chruschtschow, sah zu und nickte erneut.
    Danach mußte sich Nikolai Nikolajew im Feldlazarett melden, wo man Hände und Gesicht mit einer übelriechenden Salbe behandelte und ihn gleich wieder zum Hauptquartier zurückschickte. Dort wurde er zum Leutnant ernannt und an die Spitze eines Zugs von drei KV1-Panzern gestellt. Danach hieß es wieder Fronteinsatz.
    In diesem Winter, in dem sie weit ins Gebiet von Kursk eindrangen und die Tiger sich zurückzogen, wurde er zum Hauptmann befördert und bekam brandneue schwere Panzer, frisch aus der Fabrik. Es waren die nach Josef (Iosiff) Stalin benannten IS-II. Dank ihres 122-Millimeter-Geschützes und ihrer besonders massiven Bauweise erwarben sie sich bald den Namen »Tigerjäger«.
    Während der Operation »Bagration« bekam Nikolai den zweiten Orden eines Helden der Sowjetunion für herausragende persönliche Tapferkeit verliehen, und als er in den Randbezirken von Berlin unter Marschall Tschuikow kämpfte, den dritten.
    Das war also der Mann, den Jason Monk ungefähr fünfundfünfzig Jahre später aufsuchte.
    Hätte der alte General dem Politbüro gegenüber nur ein bißchen mehr Zurückhaltung geübt, hätte er nicht nur seinen Marschallstab erhalten, sondern darüber hinaus gratis eine Datscha bei Peredelkino am Ufer der Moskwa beziehen können, wo auch die übrigen Bonzen lebten. Aber er hielt eben nie mit seiner Meinung hinter dem Berg, was den hohen Herren nicht immer behagte.
    Folglich baute er sich für seinen Lebensabend einen bescheidenen Bungalow bei Tuchowo, einer Gegend mit vielen Militärbasen, so daß er zumindest in der Nähe seiner geliebten Armee sein konnte.
    Geheiratet hatte er nie. »Ist doch kein Leben für ein Mädchen«, hatte er wiederholt zu seinen Einsätzen in den düstersten Vorposten des sowjetischen Imperiums gemeint. Und so führte er mit dreiundsiebzig ein Junggesellendasein zusammen mit einem treuen Diener, einem ehemaligen Stabsfeldwebel, der nur noch ein Bein hatte, und einem irischen Wolfshund, der vier besaß.
    Monk hatte den wirklich schlichten Alterssitz des ehemaligen Generals durch geduldiges Fragen in den umliegenden Dörfern aufgespürt. Immer wieder hatte er sich erkundigt, wo Onkel Kolja lebte. Seine Offiziere hatten dem alternden General diesen Spitznamen, den er auch nach der Pensionierung behalten hatte, gegeben. Und er paßte auch zu ihm, denn seine Haare und der Schnauzbart waren sehr früh weiß geworden. Der Titel General der Armee war für die Zeitungen, doch auf dem Land kannte jeder den

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