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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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ihrer Abmessungen überspannt die Steinbrücke nicht nur den Fluß, sondern auch den Sofiskaja-Kai. Um sie vom Kai aus zu erreichen, muß man als Autofahrer links abbiegen, etwa hundert Meter zurückfahren, bis die Brückenauffahrt ebenerdig ist, dort wenden und zur Brücke hinauffahren. Aber als Fußgänger kann man die Treppe hinauflaufen, die vom Kai zur Brücke hinaufführt. Genau das tat der Hase.
    Als der rote Rover vorbeifuhr, stand Saizew auf dem Gehsteig der Steinbrücke und schwenkte die Arme. Die junge Frau am Steuer starrte ihn verwundert an und fuhr weiter. Saizew nahm die aussichtslose Verfolgung auf. Aber er hatte sich das russische Kennzeichen gemerkt und sah das Auto auf der Nordseite der Brücke halblinks ins Verkehrsgewühl des Borowizkiplatzes abbiegen.
    Celia Stones Ziel war der Rosy O'Grady Pub in der Snamenkastraße. Dieses Lokal mit dem für Moskau exotisch klingenden Namen ist tatsächlich ein irischer Pub und das Lokal, in dem der irische Botschafter an Silvester anzutreffen ist, wenn es ihm gelingt, die letzte der langweiligeren Botschaftspartys rechtzeitig zu verlassen. Celia Stone hatte sich dafür entschieden, ihren russischen Journalisten dorthin zum Mittagessen einzuladen.
    Da immer weniger Russen sich ein Auto oder das Benzin dafür leisten konnten, fand sie mühelos einen Parkplatz gleich um die Ecke, stieg aus und ging das kurze Stück zurück. Wie immer, wenn ein als Ausländer erkennbarer Passant sich einem Restaurant näherte, kamen die Bettler und Obdachlosen aus ihren Hauseingängen oder rappelten sich vom Bürgersteig auf, um ihn aufzuhalten und um Essen anzubetteln.
    Vor ihrer Versetzung war sie als junge Diplomatin im Londoner Außenministerium über die hiesigen Verhältnisse informiert worden, aber die Realität schockierte sie jedesmal wieder. Sie kannte die Bettler in der Londoner U-Bahn und in New Yorker Seitenstraßen: die Obdachlosen, die aus irgendwelchen Gründen die Gesellschaftsleiter hinuntergerutscht waren, um sich auf ihrer untersten Sprosse einzurichten. Doch das waren überwiegend Menschen, die sich für ein Bettlerdasein entschieden hatten, in dem Unterstützung durch Wohltätigkeitsorganisationen stets nur ein paar Straßen weit entfernt war.
    Aber in Moskau, der Hauptstadt eines Landes, das vor einer wirklichen Hungersnot stand, waren die Unglücklichen, die um Geld und Essen bettelten, noch vor nicht allzu langer Zeit Bauern, Soldaten, Büroangestellte oder Verkäufer gewesen. Bei ihrem Anblick fühlte sie sich an Fernsehdokumentarfilme aus Ländern der Dritten Welt erinnert.
    Wadim, der hünenhafte Türsteher des Rosy O'Grady, sah sie kommen, rannte ihr entgegen und stieß mehrere seiner russischen Landsleute grob beiseite, um einem wichtigen, mit harter Währung zahlenden Gast des Restaurants seines Arbeitgebers freie Bahn zu verschaffen.
    Celia, die es kränkend fand, wie die Bettler durch einen anderen Russen gedemütigt wurden, protestierte schwach, aber Wadim reckte einfach seinen langen, muskulösen Arm zwischen sie und die Reihe ausgestreckter Hände, riß die Restauranttür auf und geleitete sie hinein.
    Der Gegensatz zwischen der schmutzigen Straße mit den Hungernden und dem geselligen Geplauder von etwa fünfzig Gästen, die sich zum Mittagessen Fleisch oder Fisch leisten konnten, hätte nicht krasser sein können. Als gutherziger Mensch hatte Celia immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie auswärts zu Mittag oder zu Abend aß, und bemühte sich, das Essen auf ihrem Teller mit dem Hunger dort draußen in Einklang zu bringen. Der joviale russische Journalist, der ihr von einem Ecktisch aus zuwinkte, hatte dieses Problem nicht. Er studierte die Sakuski-Vorspeisen auf der Karte und entschied sich für Eismeergarnelen aus Archangelsk.
    Saizew, der sein Ziel unbeirrbar weiterverfolgte, suchte den ganzen Borowizkiplatz nach dem roten Rover ab, aber das Auto blieb verschwunden. Auf der Suche nach dem auffällig roten Wagen lief er auch die rechts und links abzweigenden Seitenstraßen ab – ebenfalls vergeblich. Zuletzt folgte er dem breiten Boulevard jenseits des Platzes. Zu seinem freudigen Erstaunen sah er nach etwa zweihundert Metern den Rover, der von dem Pub aus gleich um die Ecke geparkt war.
    Saizew, der sich durch nichts von den anderen unterschied, die mit der Geduld der völlig Geschlagenen warteten, bezog in der Nähe des Rovers Position und begann wieder zu warten.
Nairobi 1983
    Seit Jason Monks erstem Jahr an der University of Virginia,

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