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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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räumte seinen Safe verwirrt Akte für Akte, Schnellhefter für Schnellhefter aus. Eisige Angst – teils Panik, teils ungläubiges Staunen – erfaßte ihn. Er riß sich zusammen und fing noch einmal von vorn an. Die um seine Knie herum auf dem Teppich liegenden Ordner wurden einzeln in die Hand genommen und durchgeblättert. Nirgends ein schwarz gebundenes Schriftstück. Auf seiner Stirn bildeten sich winzige Schweißperlen. Er hatte den ganzen Vormittag zufrieden in seinem Büro gearbeitet, weil er der Überzeugung gewesen war, am Abend zuvor alle vertraulichen Schriftstücke in den Safe gesperrt zu haben. Das tat er immer; er war ein Gewohnheitstier.
    Nach dem Wandsafe waren die Schreibtischschubladen an der Reihe. Nichts. Er suchte den Fußboden unter seinem Schreibtisch ab und räumte dann alle Regale und Schränke aus. Kurz vor ein Uhr klopfte er bei Igor Komarow an, wurde vorgelassen und gestand, das Schriftstück nicht finden zu können.
    Der Präsidentschaftskandidat starrte ihn mehrere Sekunden lang an.
    Der Mann, den praktisch alle Welt für den nächsten russischen Präsidenten hielt, war ein höchst komplexer Mensch, der es vorzog, vieles von sich hinter seiner öffentlichen Persona strikt geheimzuhalten. Ein größerer Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem abgesetzten Schirinowski, den er jetzt offen als Hanswurst bezeichnete, war kaum denkbar.
    Komarow war mittelgroß, weder dick noch dünn, hatte kurzgeschnittenes eisgraues Haar und trug keinen Bart. Zu seinen auffälligsten Idiosynkrasien gehörten ein übertriebenes Bedürfnis nach persönlicher Reinlichkeit und sein Abscheu gegen körperliche Kontakte. Im Gegensatz zu den meisten russischen Politikern, deren Jovialität sich darin äußerte, daß sie einem auf den Rücken klopften, mit Wodka zuprosteten und einen Arm um die Schultern legten, bestand Komarow bei seinem persönlichen Gefolge auf steifer Förmlichkeit in Kleidung und Ausdrucksweise. Auch er selbst legte nur sehr selten die Uniform der Schwarzen Garde an und trug meist einen grauen Zweireiher mit weißem Hemd und Krawatte.
    Nach Jahren in der Politik konnten nur sehr wenige behaupten, ihm persönlich nahezustehen, und niemand wagte, sich als sein Vertrauter auszugeben. Nikita Iwanowitsch Akopow war seit einem Jahrzehnt sein Privatsekretär, aber ihre Beziehung war noch immer die zwischen einem Herrn und seinem ihm sklavisch ergebenen Diener.
    Im Gegensatz zu Jelzin, der bestimmte Mitarbeiter in den Rang von Saufkumpanen und Tennispartnern erhoben hatte, gestattete Komarow allen Informationen nach nur einem einzigen Mann – Oberst Anatoli Grischin, dem Chef seines Sicherheitsdienstes –, ihn mit seinem Vornamen anzureden.
    Wie alle erfolgreichen Politiker verstand Komarow sich jedoch darauf, das Chamäleon zu spielen. Für die Medien wurde er bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen er ihre Vertreter zu empfangen geruhte, der ernste Staatsmann. Auf eigenen Kundgebungen verwandelte er sich auf eine Art und Weise, die Akopow jedesmal wieder zutiefst bewunderte. Am Mikrofon erschien der Redner, ein Mann der kleinen Leute, der ihre Hoffnungen, Ängste und Wünsche, ihren Zorn und ihre Bigotterie unfehlbar treffend ausdrückte. Für sie, und nur für sie, gab er den jovialen, volkstümlichen Politiker.
    Unter diesen beiden Personen verbarg sich noch eine dritte: die eine, die Akopow fürchtete. Schon das Gerücht, unter der äußeren Lackschicht existiere ein dritter Mann, reichte aus, um alle in Komarows Umgebung – Parteifunktionäre, Mitarbeiter und Wachpersonal – in dem Zustand ständiger Ergebenheit zu halten, den er forderte.
    Nur zweimal in zehn Jahren war Nikita Akopow Zeuge geworden, wie der dämonische Zorn dieses Mannes aufgewallt und völlig außer Kontrolle geraten war. Bei einem Dutzend anderer Gelegenheiten hatte er den Kampf um Beherrschung dieser Wut und ihre schließliche Unterdrückung miterlebt. In den beiden Fällen, in denen er seinen Zorn nicht hatte beherrschen können, hatte Akopow zusehen müssen, wie der Mann, der ihn dominierte, faszinierte und kontrollierte, den er anbetete und dem er hörig war, sich in einen kreischenden, tobenden Dämon verwandelt hatte.
    Er hatte das Telefon, Vasen und eine Schreibgarnitur nach dem zitternden Untergebenen geworfen, der sein Mißfallen erregt hatte, bis dieser hohe Offizier der Schwarzen Garde völlig am Boden gewesen war. Er hatte die übelsten Ausdrücke benutzt, die Akopow jemals gehört hatte, Mobiliar

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