Das schwarze Manifest
waren zehn Jahre vergangen, und er hatte kaum noch Verbindung mit ehemaligen Studienfreunden. Aber er erinnerte sich noch gut an Norman Stein. Die beiden – den mittelgroßen, aber athletischen Footballspieler vom Land und den unsportlichen Sohn eines jüdischen Arztes aus Fredericksburg – hatte eine seltsame Freundschaft verbunden. Vor allem ihr gemeinsamer Sinn für ironisch-trockenen Humor hatte sie Freunde werden lassen. Während Monk eine auffällige Begabung für Sprachen hatte, war Stein das Beinahegenie des Biologiedepartments gewesen.
Er hatte sein Studium ein Jahr vor Monk mit
summa cum laude
abgeschlossen und auf der Medical School fortgesetzt. Sie waren auf die übliche Weise in Verbindung geblieben – durch Weihnachtskarten. Aber vor zwei Jahren, unmittelbar vor seiner Versetzung nach Kenia, war Monk in ein Washingtoner Restaurant gekommen, in dem sein Studienfreund allein an einem Tisch saß. Sie hatten sich eine halbe Stunde lang unterhalten, bis Dr. Steins Lunchpartner aufgekreuzt war. In dieser Zeit hatten sie persönliche Neuigkeiten ausgetauscht, wobei Monk allerdings hatte lügen und behaupten müssen, er arbeite im Außenministerium.
Stein war Arzt geworden, hatte sich auf Tropenmedizin spezialisiert und freute sich gerade über seine neue Stellung in dem Forschungslabor, das dem Walter Reed Army Hospital angegliedert war. In seinem Apartment in Nairobi suchte Jason Monk aus seinem Adreßbuch Steins Telefonnummer heraus und rief ihn an. Nach dem zehnten Klingeln meldete sich eine undeutliche Stimme.
»Yeah.«
»Hi, Norm. Ich bin's – Jason Monk.« Pause.
»Großartig. Wo bist du?«
»In Nairobi.«
»Wunderbar. Nairobi. Natürlich. Und wie spät ist's dort?«
Monk sagte es ihm. Mittag.
»Nun, hier ist's fünf Uhr morgens, verdammt noch mal, und mein Wecker ist auf sieben gestellt. Ich bin die halbe Nacht wegen des Babys wach gewesen. Es kriegt Zähne, verstehst du? Vielen Dank auch, Kumpel.«
»Immer mit der Ruhe, Norm. Hör zu, ich muß dich was fragen. Hast du schon mal von einer Krankheit namens Melioidose gehört?«
Stein antwortete nicht gleich. Als er dann wieder sprach, klang seine Stimme überhaupt nicht mehr verschlafen.
»Wie kommst du darauf?«
Monk erzählte die Story, die er sich zurechtgelegt hatte. Ein russischer Diplomat kam darin nicht vor. Er behauptete, der fünfjährige Kranke sei der Sohn eines Mannes, den er in Nairobi kenne. Die Lebenserwartung des Kleinen betrage offenbar nur noch wenige Wochen. Aber er, Monk, habe vage gehört, Onkel Sam habe Erfahrungen mit dieser seltenen Krankheit gesammelt.
»Gib mir deine Nummer«, verlangte Stein. »Ich muß ein paar Leute anrufen. Ich melde mich dann wieder.«
Es war fünf Uhr nachmittags, als Monks Telefon klingelte.
»Vielleicht gibt's wirklich etwas«, sagte der Epidemiologe. »Aber laß dich warnen: Das revolutionäre Mittel befindet sich erst im Entwicklungsstadium. Wir haben einige Tests gemacht, die gut verlaufen sind. Bisher. Aber es ist noch nicht einmal bei der FDA registriert. Und erst recht nicht von ihr freigegeben. Unsere Tests sind noch nicht abgeschlossen.«
In den USA muß die Federal Drug Administration (FDA) jedes Medikament freigeben, bevor es verkauft werden darf. Was Dr. Stein beschrieb, war ein sehr frühes CephalosporinAntibiotikum, das 1983 noch keinen Namen hatte. Ende der achtziger Jahre würde es dann als Ceftazidim auf den Markt kommen. Damals hieß es einfach CZ-1. Heute ist es das Standardmittel gegen Melioidose.
»Es kann Nebenwirkungen haben«, fuhr Stein fort. »Die kennen wir nicht.«
»Wie lange dauert's, bis diese Nebenwirkungen auftreten?« fragte Monk.
»Keine Ahnung.«
»Nun, was ist zu verlieren, wenn der Junge sonst in drei Wochen tot ist?«
Stein seufzte schwer. »Ich weiß nicht recht. Das verstößt gegen sämtliche Vorschriften.«
»Ehrenwort, davon erfährt niemand was. Komm schon, Norm für die Miezen, die ich früher für dich aufgerissen habe!«
Das schallende Gelächter drang bis aus Chevy Chase, Maryland, an sein Ohr. »Erzähl das ja nicht Becky, sonst dreh' ich dir den Hals um«, sagte Dr. Stein und legte auf.
Achtundvierzig Stunden später wurde für Monk ein Päckchen in der Botschaft abgegeben. Ein internationaler Kurierdienst hatte es nach Nairobi befördert. Es enthielt eine Thermosflasche mit Trockeneis. Auf einem ohne Unterschrift beigelegten Zettel stand, das Eis kühle zwei Ampullen. Monk rief bei der Handelsabteilung der sowjetischen
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