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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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ihn einfach dem Botschafter.«
    »Hat er das gesagt? Du sollst diesen Ordner dem Botschafter geben?«
    »Genau. Das. und danke für das Bier.«
    »Welches Bier?«
    »Woher soll ich das wissen? Er ist verrückt gewesen.«
    Gray las die Titelseite und blätterte in dem Ordner herum. Er wurde still.
    »Das hier
ist
politisch«, sagte er. »Irgendeine Art Manifest.«
    »Meinetwegen kannst du das Ding behalten«, antwortete Celia. Sie ließen den Alexandergarten hinter sich und bogen in Richtung Große Steinbrücke ab.
    Hugo Gray wollte das unerwünschte Geschenk rasch überfliegen und dann unauffällig im Papierkorb verschwinden lassen. Aber nachdem er in seinem Büro zehn Seiten davon gelesen hatte, stand er auf und ging damit zu seinem Stationsleiter, einem cleveren Schotten mit morbidem Sinn für Humor.
    Das Büro des Stationsleiters wurde täglich nach Wanzen abgesucht, aber wirklich geheime Besprechungen fanden immer in der »Blase« statt. Diese merkwürdige Konstruktion ist im allgemeinen ein Konferenzraum, der an Stahlbetonträgern hängt, so daß er bei geschlossenen Türen auf allen Seiten von einem Luftraum umgeben ist. Die Blase, die innen und außen regelmäßig nach Wanzen abgesucht wird, soll hundertprozentig abhörsicher sein. Gray war sich noch zu unsicher, um seinen Chef zu bitten, mit ihm in die Blase zu gehen.
    »Ja, Laddie?« fragte der Stationsleiter.
    »Hören Sie, Jock, ich weiß nicht, ob ich Ihre Zeit vergeude. Vermutlich schon. Sorry. Aber gestern ist was Merkwürdiges passiert. Ein alter Mann hat das hier in Celia Stones Auto geworfen. Sie wissen, wen ich meine? Das Mädchen aus der Presseabteilung. Vermutlich ist nichts dran, aber.«
    Er wußte nicht weiter. Sein Chef betrachtete ihn über seine Lesebrille hinweg.
    »In ihr Auto geworfen?« fragte er freundlich.
    »Das hat sie gesagt. Hat die Tür aufgerissen, den Ordner reingeworfen, sie gebeten, ihn dem Botschafter zu geben, und ist verschwunden.«
    Der Stationsleiter streckte eine Hand nach dem schwarzgebundenen Schriftstück aus, das jetzt zwei Fußabdrücke Grays trug.
    »Was für ein Mann?« erkundigte er sich.
    »Alt, heruntergekommen, stoppelbärtig. Wie ein Stadtstreicher. Hat ihr echt Angst eingejagt.«
    »Vielleicht eine Bittschrift?«
    »Das hat sie auch gedacht. Sie wollte den Ordner wegwerfen. Aber dann hat sie mich heute morgen im Auto mitgenommen. Ich hab' unterwegs mal reingesehen. Der Inhalt scheint mehr politisch zu sein. Der Innentitel trägt einen UPK-Stempel, und das Ganze liest sich, als sei es von Igor Komarow persönlich verfaßt.«
    »Unserem zukünftigen Präsidenten. Seltsam. Also gut, Laddie, lassen Sie's mir da.«
    »Danke, Jock«, sagte Gray und stand auf. Die vertraute Anrede mit Vornamen selbst zwischen jungen Untergebenen und hohen Mandarinen wird im britischen Secret Intelligence Service bewußt gefördert. Sie soll ein Gefühl der Kameradschaft, des familiären Zusammenhalts stärken und die allen Diensten in diesem seltsamen Metier eigene Wirundsie-Psychologie unterstreichen. Nur der Chef selbst wird als »Chef« oder »Sir« angesprochen.
    Gray war bereits an der Tür, als sein Boß ihn dazu veranlaßte, mit einer Hand auf dem Türknopf stehenzubleiben.
    »Noch was, Laddie. Bei den Sowjets sind Wohnbauten schnell und mit dünnen Wänden hochgezogen worden. Dünn sind die Wände noch immer. Unser Dritter Handelssekretär hat heute morgen vor Schlafmangel rote Augen. Zum Glück ist seine liebe Frau gerade in England. Könnten Sie und die entzückende Miss Stone nächstesmal ein kleines bißchen leiser sein?«
    Hugo Gray wurde rot wie die Kremlmauern und verschwand hastig. Der Stationsleiter legte das schwarze Schriftstück beiseite. Er hatte einen arbeitsreichen Tag vor sich und sollte um elf zum Botschafter kommen. Seine Exzellenz war ein vielbeschäftigter Mann und würde nicht mit Gegenständen belästigt werden wollen, die Obdachlose in die Autos von Botschaftsangehörigen warfen. So wurde es Abend, bevor der Spionagechef, der noch in seinem Büro arbeitete, das Schriftstück las, das später als das Schwarze Manifest bekannt werden sollte.
Madrid, August 1984
    Bevor die indische Botschaft in Madrid im November 1986 umzog, residierte sie in der Calle Velasquez 93 in einem reichgeschmückten Gebäude aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Am Unabhängigkeitstag 1984 gab der indische Botschafter wie üblich einen großen Empfang für führende Mitglieder der spanischen Regierung und das diplomatische

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