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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Korps. Er fand wie immer am fünfzehnten August statt.
    Wegen der extremen Hitze, die in diesem Sommermonat in Madrid herrscht, und der Tatsache, daß der August für Minister, Abgeordnete und Diplomaten im allgemeinen ein Haupturlaubsmonat ist, waren viele leitende Persönlichkeiten aus der Hauptstadt abwesend und ließen sich durch jüngere Mitarbeiter vertreten.
    Aus der Sicht des Botschafters war das bedauerlich, aber die Inder können wohl kaum die Geschichte umschreiben und ihren Unabhängigkeitstag verlegen.
    Die Amerikaner wurden von ihrem Geschäftsträger vertreten, dem der Zweite Handelssekretär, ein gewisser Jason Monk, zur Seite stand. Der CIA-Resident in der Botschaft machte ebenfalls Urlaub, und Monk, der sein Stellvertreter im Dienst war, vertrat ihn hier.
    Für Monk war 1984 bisher ein gutes Jahr gewesen. Er hatte den sechsmonatigen Spanischlehrgang bravourös bestanden und sich so eine Beförderung von GS12 nach GS13 verdient.
    In der Privatwirtschaft Tätigen mag die Einstufung im Government Schedule (GS) wenig sagen, weil das die Besoldungsordnung für Beamte der Bundesregierung ist, aber innerhalb der CIA markierte sie nicht nur eine Besoldungsgruppe, sondern auch Rang, Prestige und den Fortschritt einer Karriere.
    Nicht schaden konnte auch, daß CIA-Direktor William Casey vor kurzem die Führungsspitze umgebildet und John Stein durch einen neuen stellvertretenden Direktor (Beschaffung) ersetzt hatte. Dieser Mann leitet die gesamte Nachrichtenbeschaffung der Agency und ist deshalb Vorgesetzter jedes Agenten im Einsatz. Der Neue war Carey Jordan, der Monk ursprünglich entdeckt und angeworben hatte.
    Und nach Abschluß des Spanischlehrgangs war Monk nicht der Südamerikaabteilung, sondern Westeuropa zugewiesen worden, wo es nur ein spanisch sprechendes Land gab – Spanien selbst. Dabei war Spanien durchaus kein feindliches Land, ganz im Gegenteil. Aber einem vierunddreißigjährigen ledigen CIA-Agenten hatte die glanzvolle spanische Hauptstadt verdammt viel mehr zu bieten als Tegucigalpa.
    Weil die Beziehungen zwischen den USA und ihrem spanischen Verbündeten so gut waren, bestand die Arbeit der CIA größtenteils daraus, mit der spanischen Spionageabwehr zusammenzuarbeiten und die mit feindlichen Agenten durchsetzte sowjetische und osteuropäische Kolonie im Auge zu behalten. In nur zwei Monaten war es Monk gelungen, einige gute Verbindungen zur hiesigen Spionageabwehr zu knüpfen, deren hohe Offiziere meistens noch aus der Francozeit stammten und nichts für den Kommunismus übrighatten. Da es ihnen schwerfiel, den Namen Jason auszusprechen, der im Spanischen wie »Chasson« klingt, hatten sie dem jungenhaften Amerikaner den Spitznamen El Rubio – Blondschopf – gegeben und mochten ihn. So wirkte Monk auf viele Leute.
    Bei brütender Hitze lief der Empfang wie alle Veranstaltungen dieser Art ab: Die Gäste bildeten in wechselnder Zusammensetzung kleine Gruppen, nippten vom Champagner der indischen Regierung, der im Glas binnen zehn Sekunden warm wurde, und machten höfliche, aber oberflächliche Konversation, die sie nicht so meinten. Monk fand, er habe jetzt genug für Onkel Sam getan, und wollte schon gehen, als er ein bekanntes Gesicht entdeckte.
    Monk schlängelte sich durch die Menge und wartete hinter dem Mann im anthrazitgrauen Anzug, bis er sein Gespräch mit einer Dame in einem Sari beendet hatte und sekundenlang allein war. Dann fragte er von hinten auf russisch: »Nun, mein Freund, wie geht's Ihrem Sohn?«
    Der Mann erstarrte, drehte sich langsam um. Dann lächelte er.
    »Danke«, antwortete Nikolai Turkin. »Juri hat sich wieder erholt. Er ist gesund und munter.«
    »Das freut mich«, sagte Monk, »und Ihre Karriere scheint auch überlebt zu haben.«
    Turkin nickte. Ein Geschenk vom Feind anzunehmen, war ein schweres Vergehen, und wäre es gemeldet worden, hätte er die UdSSR nie wieder verlassen. Aber er hatte sich Professor Glasunow anvertrauen müssen. Der berühmte Arzt hatte selbst einen Sohn und war privat der Auffassung, auf medizinischem Gebiet solle sein Land mit den besten Forschungseinrichtungen der Welt zusammenarbeiten. Er beschloß, das Vergehen des jungen Offiziers nicht zu melden, und akzeptierte bescheiden die Lobeshymnen seiner Kollegen wegen der erstaunlichen Heilung des kleinen Patienten.
    »Zum Glück ja, aber nur mit knapper Not«, erwiderte er.
    »Wir sollten uns mal zum Abendessen treffen«, schlug Monk vor. Der Russe starrte ihn fast erschrocken an.

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