Das schwarze Manifest
danach wieder abzusperren. Aber beide Männer waren unten gewesen, als der Raumpfleger die übrigen Büros im ersten S tock gereinigt hatte. Wie gewöhnlich. Also. der Raumpfleger war unbeaufsichtigt in Akopows Büro gewesen. Und er war früher als sonst gegangen, kurz nach zwei Uhr morgens.
Um einundzwanzig Uhr wurde Akopow, der leichenblaß war, aus dem Gebäude geführt. Er mußte in sein eigenes Auto steigen, das jedoch von einem Mann der Schwarzen Garde gefahren wurde. Ein weiterer Gardist saß hinten neben dem in Ungnade gefallenen Privatsekretär. Der Wagen fuhr nicht zu Akopows Wohnung, sondern verließ die Stadt und war zu einem der weitläufigen Ausbildungslager der Jungen Kämpfer unterwegs.
Ebenfalls um einundzwanzig Uhr hatte Oberst Grischin die Personalakte mit allen Angaben über das Beschäftigungsverhältnis eines gewissen Saizew, Leonid, 63 Jahre, Raumpfleger, durchgelesen. Seine Adresse war angegeben, aber der Mann war sicher längst unterwegs. Er sollte um zweiundzwanzig Uhr in der Villa sein.
Aber er kam nicht zur Arbeit. Um Mitternacht brachen Oberst Grischin und drei Männer der Schwarzen Garde auf, um der Wohnung des Alten einen Besuch abzustatten.
Um diese Zeit wälzte Celia Stone sich zufrieden lächelnd von ihrem jungen Lover und griff nach einer Zigarette. Sie rauchte selten, aber dies war einer jener Augenblicke. Hugo Gray, der in ihrem Bett auf dem Rücken lag, hechelte noch immer. Er war ein sportlicher junger Mann, der sich mit Squash und Schwimmen in Form hielt, aber die letzten zwei Stunden hatten hohe Anforderungen an seine Kondition gestellt.
Nicht zum erstenmal fragte er sich, warum Gott es so eingerichtet hatte, daß der Appetit einer liebeshungrigen Frau stets die Fähigkeiten eines Mannes überstieg. Das war äußerst unfair.
In der Dunkelheit nahm Celia Stone einen tiefen Zug, fühlte das Nikotin wirken, beugte sich über ihren Lover und zerzauste seine dunkelbraunen Locken.
»Wie um Himmels willen bist du bloß Kulturattache geworden?« neckte sie ihn. »Dabei könntest du Turgenjew nicht von Lermontow unterscheiden.«
»Muß ich nicht können«, knurrte Gray. »Ich soll den Russkis unsere Kultur näherbringen – Shakespeare, die Brontes, solche Leute.«
»Und das ist wohl der Grund für deine häufigen Besprechungen mit dem Stationsleiter?«
Gray setzte sich ruckartig auf, packte sie am Oberarm und zischte ihr ins Ohr: »Halt die Klappe, Celia! Hier könnte es Wanzen geben.«
Celia Stone stand beleidigt auf, um Kaffee zu kochen. Sie verstand Hugos Überreaktion auf ihre kleine Neckerei nicht. Außerdem war seine wahre Tätigkeit in der Botschaft ein ziemlich offenes Geheimnis.
Sie hatte natürlich recht. Seit seiner Ankunft in Moskau war Hugo Gray der dritte und jüngste Mann der hiesigen Station des Secret Intelligence Service. Früher – in der guten alten Zeit auf dem Höhepunkt des kalten Kriegs – war sie viel größer gewesen. Aber die Zeiten ändern sich, und Haushaltsmittel werden gekürzt. In seinem Zustand des Niedergangs galt Rußland als ziemlich wenig bedrohlich.
Ausschlaggebend war, daß neunzig Prozent aller Dinge, die früher geheim gewesen waren, jetzt frei zugänglich oder kaum mehr interessant waren. Selbst der ehemalige KGB hatte einen Presseoffizier, und in der US-Botschaft auf der anderen Seite der Stadt war die CIA auf die Stärke eines Footballteams zusammengeschrumpft.
Aber Hugo Gray war jung und diensteifrig und der Überzeugung, die meisten Diplomatenwohnungen würden nach wie vor abgehört. Der Kommunismus mochte tot sein, aber der russische Verfolgungswahn lebte weiter. Damit hatte er recht, aber die FSB-Agenten hatten ihn schon enttarnt und waren ganz zufrieden mit diesem Erfolg.
Das Viertel um den sonderbar benannten Enthusiastenboulevard ist vermutlich der ärmlichste, schäbigste und heruntergekommenste Stadtteil Moskaus. In einem Triumph kommunistischer Stadtplanung wurde es im Lee der Forschungsstelle für chemische Kriegführung erbaut, die Abluftfilter wie Tennisnetze hatte. Der einzige Enthusiasmus, den seine Bewohner jemals an den Tag legten, war bei denen zu beobachten, die kurz vor dem Umzug in ein anderes Wohnviertel standen.
Der Personalakte nach lebte Leonid Saizew mit seiner Tochter, ihrem Mann, der Fernfahrer war, und ihrem Kind in einem Wohnblock nicht weit vom Enthusiastenboulevard entfernt. Es war halb ein Uhr morgens in dieser noch immer warmen Sommernacht, als der elegante schwarze Tschaika, dessen
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