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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Monk hob die Hände, als ergebe er sich. »Keine Anwerbung, Ehrenwort!«
    Turkin atmete auf. Beide wußten, was der andere tat. Allein die Tatsache, daß Monk so perfekt russisch sprach, deutete darauf hin, daß er unmöglich in der Handelsabteilung der US-Botschaft tätig sein konnte. Und Monk wußte seinerseits, daß Turkin ein KGB-Offizier, wahrscheinlich aus der Verwaltung K, der Spionageabwehr, sein mußte, weil er es sich leisten konnte, im Gespräch mit Amerikanern gesehen zu werden.
    Das Wort »Anwerbung« verriet alles, und die Tatsache, daß der Amerikaner es scherzhaft gebrauchte, ließ erkennen, daß Monk einen kurzen Waffenstillstand im kalten Krieg vorschlagen wollte. Unter »Anwerbung« wäre in diesem Fall zu verstehen gewesen, daß ein Geheimdienstagent einem Kollegen von der anderen Seite vorschlug, das Team zu wechseln.
    Drei Abende später kamen die beiden Männer einzeln in die Galle de los Cuchilleros – die Messerschleifergasse – in der Madrider Altstadt. Etwa in der Mitte dieser engen Gasse führt hinter einer alten Holztüre eine Treppe in das gemauerte Gewölbe eines ehemaligen Weinlagers aus dem Mittelalter hinunter. Dort existiert seit vielen Jahren das Restaurant Sobrinos de Botin mit traditioneller spanischer Küche. Die alten Kreuzgewölbe bilden Sitznischen mit einem Tisch in der Mitte, und Monk und sein Gast hatten eine für sich allein.
    Das Essen war ausgezeichnet, und Monk bestellte einen roten Marques de Riscal. Aus Höflichkeit verzichteten sie darauf zu »fachsimpeln«, sondern sprachen über Frau und Kinder – wobei Monk zugeben mußte, daß er noch immer keine Familie hatte. Der kleine Juri ging jetzt zur Schule, verbrachte aber die Sommerferien bei seinen Großeltern. Der Wein floß, eine zweite Flasche kam auf den Tisch.
    Monk erkannte nicht gleich, daß Turkin hinter seiner liebenswürdigen Fassade vor Wut kochte: nicht etwa auf die Amerikaner, sondern auf das System, das seinen Sohn kaltblütig hätte sterben lassen. Die zweite Flasche Rotwein war fast geleert, als er plötzlich fragte:
    »Sind Sie mit Ihrer Arbeit bei der CIA zufrieden?«
    Soll das eine Anwerbung sein? fragte Monk sich. Versucht der Idiot etwa, mich anzuwerben?
    »So ziemlich«, antwortete er leichthin. Er schenkte gerade Wein nach und beobachtete die Flasche, nicht den Russen.
    »Wenn Sie mal Probleme haben, unterstützen Ihre Leute Sie dann?«
    Monk konzentrierte sich aufs Einschenken. Seine Hand blieb ganz ruhig.
    »Klar. Meine Leute sind immer für einen da, wenn man Hilfe braucht. Das gehört zu unserem Ehrenkodex.«
    »Es muß schön sein, für Leute zu arbeiten, die in solcher Freiheit leben«, sagte Turkin. Monk stellte endlich die Flasche weg und sah über den Tisch. Er hatte versprochen, keinen Anwerbeversuch zu machen, aber jetzt hatte ihn der Russe gemacht – bei sich selbst.
    »Warum nicht? Hören Sie, mein Freund, das System, für das Sie arbeiten, wird sich ändern. Schon bald. Wir könnten mithelfen, damit es sich schneller ändert. Juri wird als freier Mann aufwachsen.«
    Andropow war trotz der Medikamente aus London gestorben. Sein Nachfolger wurde mit Konstantin Tschernenko ein weiterer kranker Greis, der unter den Armen gestützt werden mußte. – Aber Gerüchte wollten von einem frischen Wind im Kreml, von einem jüngeren Mann namens Gorbatschow wissen. Beim Kaffee war Turkin angeworben; er würde auf seinem Platz im Herzen des KGB bleiben, aber von nun an für die CIA arbeiten.
    Monk hatte Glück, weil sein Vorgesetzter, der CIA-Resident in Madrid, im Urlaub war. Wäre er dagewesen, hätte Monk die Führung Turkins anderen überlassen müssen. Statt dessen fiel ihm die Aufgabe zu, das streng geheime Kabel nach Langley mit der Schilderung der Anwerbung zu verschlüsseln.
    Verständlicherweise überwog anfangs Skepsis. Ein Major der Verwaltung K mitten im Herzen des KGB wäre ein Haupttreffer gewesen. Bei einer Serie von Geheimtreffen, die in diesem Sommer an verschiedenen Orten in Madrid stattfanden, erfuhr Monk alles über den gleichaltrigen Sowjetbürger.
    Nikolai Turkin, 1951 in der westsibirischen Stadt Omsk als Sohn eines Ingenieurs in der Rüstungsindustrie geboren, hatte mit Achtzehn keinen Studienplatz an der gewünschten Universität bekommen, sondern statt dessen seinen Wehrdienst ableisten müssen. Er kam zu den Grenztruppen, die nominell dem KGB unterstanden. Dort wurde er »entdeckt« und auf die Dserschinski-Hochschule, Abteilung Spionageabwehr, geschickt, wo

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