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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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VIP-Lounge ging er an Bord der Maschine der British Airways nach Heathrow; nach dem Start atmete er aufseufzend tief durch und bestellte sich einen Gin mit Tonic.
Washington, April 1985
    Wäre der Erzengel Gabriel nach Washington herabgestiegen, um den KGB-Residenten in der sowjetischen Botschaft zu fragen, von welchem aller CIA-Agenten er sich wünsche, er solle zum Verräter werden und für Rußland spionieren, hätte Oberst Stanislaw Androsow nicht lange überlegen müssen.
    Er hätte geantwortet: Am liebsten wäre mir der Leiter des Referats Spionageabwehr der Abteilung Sowjetunion/Osteuropa in der Hauptabteilung Beschaffung.
    Alle Geheimdienste haben ein Referat Spionageabwehr, das innerhalb des Apparats mit anderen Abteilungen zusammenarbeitet. Die Mitarbeiter dieses Referats haben den Auftrag, alle anderen zu kontrollieren, was sie bei ihren Kollegen nicht immer beliebt macht. Ihre Arbeit gliedert sich in drei Aufgabenbereiche.
    Die Spionageabwehr nimmt an der Befragung von Überläufern teil und spielt dabei sogar eine führende Rolle, weil festgestellt werden soll, ob der Überläufer echt oder ein raffiniert getarnter Spitzel ist. Auch ein angeblicher Überläufer kann brauchbares Material mitbringen, aber seine eigentliche Aufgabe besteht aus Desinformation: Er soll seine neuen Wirte davon überzeugen, daß sie keinen Verräter in ihren Reihen haben, obwohl es ihn tatsächlich gibt, oder seine Wirte auf irgendeine andere Weise in ein Labyrinth aus Sackgassen führen. Ein geschicktes Täuschungsmanöver dieser Art kann dazu führen, daß jahrelang Zeit und Arbeit vergeudet werden.
    Die Spionageabwehr überprüft auch alle Leute auf der Gegenseite, die zwar nicht persönlich übergelaufen sind, aber sich als Spione haben anwerben lassen, während sie in Wirklichkeit Doppelagenten sein können.
    Ein Doppelagent ist jemand, der vorgibt, sich anwerben zu lassen, aber tatsächlich seinem eigenen Team die Treue hält und seine Anweisungen befolgt. Er liefert einige wenige echte Informationen, um seine Zuverlässigkeit zu beweisen, und bringt dann den eigentlichen »Biß« an, der auf völliger Desinformation basiert und in dem Dienst, für den er angeblich arbeitet, große Zerstörungen anrichten kann.
    Letztlich hat die Spionageabwehr sicherzustellen, daß der eigene Dienst nicht unterwandert worden ist, daß sie keinen Verräter in ihren Reihen hat.
    Um diese Aufgaben erfüllen zu können, muß der Spionageabwehr unbeschränkte Akteneinsicht möglich sein. Sie kann die Akten aller Überläufer mit den Protokollen ihrer Befragungen anfordern – auch noch nach Jahren. Sie kann die Laufbahn und die Anwerbung aller gegenwärtigen Informanten, die tief im Feindesland arbeiten und in Gefahr sind, auf jede nur mögliche Weise verraten zu werden, unter die Lupe nehmen. Und die Spionageabwehr kann die Personalakte jedes eigenen Mitarbeiters anfordern. Alles zur Erfüllung ihres Auftrags, Echtheit und Loyalität zu überprüfen.
    Strikte Abschottung und das Prinzip, daß jeder nur erfahren darf, was er wissen muß, sorgen dafür, daß ein Nachrichtendienstler, der für eines oder zwei Unternehmen zuständig ist, zwar diese Unternehmen verraten kann, aber normalerweise keine Ahnung hat, was seine Kollegen tun. Nur die Spionageabwehr hat den Gesamtüberblick. Daher hätte Oberst Androsow, wäre er von dem Erzengel gefragt worden, sich für den Leiter des Referats Spionageabwehr der Abteilung Sowjetunion/Osteuropa entschieden. Wer Spione jagt, muß zu den Treuesten der Treuen gehören.
    Im Juli 1983 wurde Aldrich Hazen Ames zum Leiter des Referats Spionageabwehr der Abteilung SO ernannt. In dieser Position hatte er ungehinderten Zugang zu ihren beiden Untergruppierungen: der UdSSR-Abteilung, die für alle sowjetischen Agenten zuständig war, die in der UdSSR für die USA arbeiteten, und der Auslandsabteilung, die alle sowjetischen Agenten führte, die gegenwärtig außerhalb der Sowjetunion eingesetzt waren.
    Am sechzehnten April 1985 kam er, in Geldnöten steckend, in die sowjetische Botschaft in der 16th Street in Washington, fragte nach Oberst Androsow und erbot sich, für Rußland zu spionieren. Für fünfzigtausend Dollar.
    Um seine ehrlichen Absichten zu beweisen, brachte er einiges mit. Er gab die Namen dreier Russen preis, die sich der CIA als Informanten angedient hatten. Später würde er behaupten, er habe sie ohnehin für Doppelagenten, das heißt für unecht gehalten. Wie dem auch sei, diese drei Gentlemen

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