Das schwarze Manifest
Parkplatz in seinen Wagen und fuhr zwanzig Minuten weit nach Georgetown, einem eleganten, für seine Restaurants im europäischen Stil bekannten Washingtoner Vorort.
Ames betrat Chadwick's, eine Bar mit Restaurant unter dem K Street Freeway am Potomac, und traf sich dort mit dem Verbindungsmann, den Oberst Androsow ihm zugewiesen hatte, weil er selbst als KGB-Resident damit rechnen mußte, von FBI-Agenten beschattet zu werden. Dieser Verbindungsmann war ein »gewöhnlicher« sowjetischer Diplomat namens Tschuwachin.
Dem Russen übergab Ames alles, was er mitgebracht hatte. Er verlangte nicht einmal einen Preis. Als die Zahlung dann kam, erhielt er eine Riesensumme – die erste von vielen, die Ames zum Millionär machen würden. Die Russen, die sonst mit harten Dollars geizten, versuchten danach nicht einmal mehr, mit ihm zu feilschen. Sie wußten, daß sie auf eine Goldader gestoßen waren.
Von Chadwick's aus gelangten die Tragtaschen in die sowjetische Botschaft, die sie an die Erste Hauptverwaltung des KGB in Jasenewo weiterleitete. Dort wollten die Analytiker ihren Augen nicht trauen.
Der Coup machte Androsow augenblicklich zu einem Star und Ames zum wichtigsten Sowjetspion der Welt. Wladimir Krjutschkow, der General an der Spitze der Ersten Hauptverwaltung – ursprünglich ein von dem stets mißtrauischen Andropow eingeschleuster Spitzel, der dort Karriere gemacht hatte –, befahl sofort die Bildung einer streng geheimen Gruppe, die von sonstigen Aufgaben befreit sein und ausschließlich das von Ames gelieferte Material auswerten sollte. Ames erhielt den Decknamen Kolokol – Glocke –, und diese Sonderkommission bezeichnete sich als Gruppe Kolokol.
Ein leitender CIA-Mitarbeiter errechnete später, nach dem Sommer 1945 seien fünfundvierzig gegen den KGB gerichtete Unternehmen, praktisch die gesamte CIA-Palette, zusammengebrochen. Kein einziger der für die CIA arbeitenden Topagenten, deren Namen in der Akte 301 gestanden hatten, war ab Frühjahr 1986 noch aktiv.
Die von Ames übergebenen Plastiktüten enthielten detaillierte Angaben über vierzehn Agenten – fast sämtliche Informanten der Abteilung SO in der Sowjetunion. Ihre Namen waren nicht genannt, aber das war auch nicht nötig.
Jeder Fahnder des Referats Spionageabwehr, dem mitgeteilt wird, in seiner Organisation gebe es einen Maulwurf, und der erfährt, dieser Mann sei in Bogota angeworben worden, habe danach in Moskau gearbeitet und werde jetzt in Lagos betreut, kann den Betreffenden sehr rasch aufspüren. Diese Dienstorte passen nur zu einer bestimmten Laufbahn. Eine Überprüfung der Personalakten reicht im allgemeinen aus.
Einer dieser vierzehn war in Wirklichkeit ein altgedienter Agent der Briten. Die Amerikaner hatten seinen Namen nie erfahren, aber da London seine Informationen an Langley weitergegeben hatte, wußte die CIA einiges über ihn und konnte sich den Rest zusammenreimen. Der Agent war ein KGB-Oberst, der Anfang der siebziger Jahre in Dänemark rekrutiert worden war und seit zwölf Jahren für die Briten spionierte. Obwohl er bereits verdächtigt wurde, kehrte er trotzdem von seinem Posten als KGB-Resident in der sowjetischen Botschaft in London zu einem letzten Besuch nach Moskau zurück. Ames' Verrat bestätigte lediglich den beim KGB schon bestehenden Verdacht gegen Oberst Oleg Gordiewski.
Ein weiterer der vierzehn hatte Glück – oder war clever. Sergei Bochan, der als Offizier des sowjetischen Militärgeheimdienstes GRU in Athen stationiert war, wurde überraschend mit der Begründung nach Moskau zurückbefohlen, sein Sohn habe Examensprobleme an der Militärakademie. Er wußte jedoch, daß die Leistungen seines Sohns gut waren. Nachdem er den reservierten Flug absichtlich verpaßt hatte, wandte er sich an die CIA-Außenstelle Athen und wurde schnellstens außer Landes gebracht.
Die anderen zwölf wurden alle geschnappt. Einige waren in der UdSSR, andere im Ausland. Die sich im Ausland aufhielten, wurden unter verschiedenen Vorwänden zurückgerufen. Alle wurden bei ihrer Ankunft verhaftet.
Alle zwölf wurden intensiv verhört, und alle zwölf gestanden.
Die Alternative wären noch »intensivere« Verhöre gewesen. Zwei kamen mit jahrelangen Lagerstrafen davon und leben jetzt in Amerika. Die anderen zehn wurden gefoltert und erschossen.
Nachdem Jock Macdonald am Spätnachmittag in Heathrow angekommen war, fuhr er als erstes in die Zentrale des Secret Intelligence Service in Vauxhall Cross. Er war müde,
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