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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Plänen zur nuklearen Wiederaufrüstung und Aufstellung von Raketen mit großer und mittlerer Reichweite, deren Ziele in den an Rußland grenzenden Feindstaaten liegen sollten.
    Er las die Seiten, auf denen detailliert beschrieben wurde, wie mit der russischorthodoxen Kirche und allen sonstigen Glaubensgemeinschaften verfahren werden sollte.
    Dieser Denkschrift nach würden die drastisch verringerten und gedemütigten russischen Streitkräfte, die jetzt in Zeltlagern vegetierten, neu ausgerüstet und wiederbewaffnet werden – nicht zur Verteidigung, sondern zu Eroberungszwecken. Die Bevölkerung der zurückeroberten Gebiete würde als Sklaven arbeiten, um Nahrungsmittel für die russische Herrenrasse zu erzeugen. Beherrscht werden sollten sie von der russischen Bevölkerung der äußeren Gebiete unter Aufsicht eines von Moskau eingesetzten Gouverneurs. Für nationale Disziplin würde die Schwarze Garde sorgen, die auf zweihunderttausend Mann aufgestockt werden sollte. Außerdem sollte sie die Sonderbehandlung von Asozialen übernehmen: Liberale, Journalisten, Geistliche, Homosexuelle und Juden.

Das Schriftstück gab auch vor, eine Frage zu beantworten, über die Macdonald und andere schon seit langem nachrätselten: die Quelle der anscheinend unbegrenzten Wahlkampfmittel der Union Patriotischer Kräfte.
    In den ersten Jahren nach 1990 hatte die kriminelle Unterwelt Rußlands aus einer Vielzahl einzelner Banden bestanden, die sich anfangs blutige Revierkämpfe geliefert und Dutzende ihrer eigenen Leute tot auf den Straßen zurückgelassen hatte. Aber seit 1995 war ein Vereinigungsprozeß in Gang gekommen. Im Jahr 1999 war ganz Rußland von seiner Westgrenze bis zum Ural unter vier große Gangstersyndikate aufgeteilt, von denen die von Moskau aus agierenden Dolgoruki das mächtigste waren. Waren die Angaben in diesem Schriftstück zutreffend, finanzierten sie die UPK, um später ihren vereinbarten Lohn kassieren zu können: die Zerschlagung der übrigen Banden und die Alleinherrschaft ihrer eigenen.
    Es war fünf Uhr morgens, als Jock Macdonald das Schwarze Manifest nach mehrmaligem intensiven Durchlesen zuklappte.
    Er lehnte sich zurück und starrte die Zimmerdecke an. Er hatte das Rauchen schon lange aufgegeben, aber jetzt sehnte er sich nach einem Zug.
    Schließlich stand er auf, sperrte die Denkschrift in seinen Safe und verließ die Botschaft. Vom Gehsteig aus starrte er im ersten Morgenlicht über den Fluß hinweg zur Kremlmauer hinüber, unter der vor achtundvierzig Stunden ein alter Mann in seinem abgetragenen langen Militärmantel gesessen und das Botschaftsgebäude angestarrt hatte.
    Spionagechefs gelten im allgemeinen nicht als religiöse Menschen, aber Berufe und der äußere Anschein können trügen. Bei der Aristokratie des schottischen Hochlands gibt es eine lange Tradition inbrünstiger Hingabe an den römischkatholischen Glauben. Das waren die Earls und Barone, die sich 1745 mit den Männern ihrer Clans unter dem Banner des katholischen Bonnie Prince Charlie versammelten, um im folgenden Jahr bei Culloden von dem protestantischen Herzog von Cumberland, dem dritten Sohn des hannoverischen Georgs II., vernichtend geschlagen zu werden.
    Der Stationsleiter entstammte dem Herzen dieser Tradition. Sein Vater war ein Macdonald aus Fassifern, aber seine Mutter, die eine Fraser aus Lovat gewesen war, hatte ihn im wahren Glauben erzogen. Er ging zu Fuß davon. Den Kai entlang bis zur nächsten Brücke, der Moskworezki most, dann zur Basiliuskathedrale hinüber. Er passierte die Kathedrale mit ihren Zwiebeltürmen, gelangte auf verschlungenen Pfaden durchs erwachende Stadtzentrum bis zum Neuen Platz und bog dort wieder nach links ab.
    Als er den Neuen Platz verließ, sah er, wie sich die ersten frühmorgendlichen Warteschlangen vor den Suppenküchen zu bilden begannen. Eine von ihnen war unmittelbar hinter dem Platz eingerichtet, wo einst das Zentralkomitee der KPdSU geherrscht hatte.
    Wie die Vereinten Nationen auf eher offizieller Basis engagierte sich eine ganze Anzahl ausländischer Wohltätigkeitsorganisationen in der Rußlandhilfe, und der Westen hatte dafür ebenso großzügig gespendet wie zuvor für bosnische Waisenhäuser und bosnische Kriegsflüchtlinge. Aber die Aufgabe war fast nicht zu bewältigen, denn die Bedürftigen strömten vom Land in die Hauptstadt, wurden von der Miliz zum Heimtransport zusammengetrieben und tauchten wieder auf – entweder sie selbst oder andere Hungernde aus ihren

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