Das Schwarze Weib
auf die bildhübsche Fremde zwischen Madlen und Ammerie, die man noch nie in Gesellschaft der Armbruster gesehen hatte.
Das Hochamt begann, nahm seinen gewöhnlichen Verlauf und sein Ende, und das Gotteshaus leerte sich wieder. Auf dem Heimwege schlossen sich manche der Kirchgänger der Bürgermeisterfamilie an, und wenn es die Lippen nicht taten, so fragten doch die Augen: wen habt ihr denn da bei euch? so daß Madlen oftmals wiederholen mußte: »Das ist eine liebe Verwandte, die zum Besuch eingetroffen ist und längere Zeit bei uns bleiben wird.«
Die Honoratioren der Winzergilde, auch einige kleinere Hofbesitzer und ehrsame Handwerksmeister vereinigten sich nach dem Gottesdienste noch in dem Gasthaus zur Krone bei der sogenannten Elfuhrmesse zu einem Schoppenglase. Auch Christoph Armbruster fehlte selten bei diesem Sonntagstrunke, denn dort wurden die Gemeindeangelegenheiten oft gründlicher durchgesprochen als auf dem Stadthause, und man vertrug sich beim Wein leicht in Frieden und Freundschaft. Manchmal freilich kam es auch anders, wenn die Köpfe der Streitenden heiß wurden. Dann fielen schwere, selbst grobe Worte, keiner blieb dem andern etwas schuldig, und die Fäuste donnerten mit einem trotzigen Hol mich der Deibel! auf den Tisch. Denn ein Sprichwort sagte: dem Pfälzer sitzt das Herz auf der Zunge und nicht hinter den Ohren.
Die Frauen aber gingen heim, um nach dem Mittagessen zu sehen. So auch die Frau Bürgermeisterin mit den beiden jungen Mädchen.
Auf dem Abtshof angelangt sagte Madlen zu Trudi: »Nun komm mit mir in den Garten; dort ist eine schattige Laube, wo du mir deine Lebensgeschichte erzählen kannst und uns niemand stören wird.« Dieser Zusatz war für Ammerie bestimmt, die den Wink verstand und sich an Stelle der Mutter pflichtschuldig in die Küche verfügte.
Als Base und Nichte auf einer Bank in der Laube Platz genommen hatten, Trudi aber noch schwieg, faßte Madlen ihre Hand und sprach: »Öffne mir dein Herz, liebes Kind, so vertrauensvoll, als wär' ich deine beste Freundin oder deine Mutter, was ich ja beides fortan auch wirklich sein will.«
Und Trudi hub mit bewegter Stimme und anfangs manchmal stockend an: »Ich muß mit den Erinnerungen meiner frühesten Jugend beginnen, die bis zu meinem zwölften Jahre eine wunschlos glückliche war. Meine Eltern, deren einziges Kind ich war, erzogen mich zu allem Guten und Schicklichen und sorgten auch für meinen Unterricht, den mir und ein paar anderen Kindern ein alter geistlicher Herr mit großer Hingebung erteilte. Sie besaßen in Gamburg, nicht weit von Tauberbischofsheim im Würzburgischen, ein mäßiges Ackergut, dessen Ertrag sie auskömmlich ernährte und zu dem auch ein Weinberg in guter Lage gehörte. Sie waren jedoch Altarleute des Klosters Bronnbach, hatten diesem Zehnten und Beden zu leisten, und mein Vater mußte auf dem klösterlichen Meierhofe in den Jahreszeiten, wo es Feldarbeit gab, wöchentlich einen, während der Ernte meistens zwei Tage Frondienst tun. Das kam ihn hart an, aber er hatte bei der Übereignung des Lehngutes diese unablösbare Verpflichtung mit übernehmen müssen. Der Meier des Klosterhofes war nachsichtig und milde gegen ihn, plagte ihn nicht und drückte ein Auge zu, wenn der Vater einmal eine Woche lang nicht zum Fronen und Roboten erschien. So gingen meine Tage sorglos dahin; dann aber – dann brach das Unglück über uns herein.
Mein lieber Vater starb – nach kurzem Krankenlager – an einem hitzigen Lungenfieber, – und meine Mutter war trost- und ratlos. – Es sind nun zehn Jahre her, aber heute noch seh ich und fühl ich, wie sie in ihrer Verzweiflung die Hände rang, mich in maßlosem Jammer an sich preßte und schluchzte.«
Trudi selber zitterte am ganzen Körper bei der Mitteilung dieses unvorhergesehenen, tief in ihr Leben einschneidenden Trauerfalles.
»Kurz vor Anfang des Winters war es. Korn und Trauben waren herein, aber was sollte werden, wenn das Frühjahr kam und der Wingert besorgt, der Acker bestellt werden mußte? Da blieb meiner Mutter nichts anderes übrig als einen Oberknecht anzunehmen, der die Wirtschaft leiten sollte. Das geschah denn auch. Pankraz Dornhuber war ein noch ziemlich junger, aber tüchtiger Mensch, der den ihm anvertrauten Posten zur Zufriedenheit meiner Mutter ausfüllte, sich aber auch auf jede Weise in ihre Gunst einzuschmeicheln suchte.«
Die Erzählerin blickte einige Sekunden lang starr vor sich hin, ehe sie fortfuhr: »Ja, – wie das alles so
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