Das Schwebebahn-Komplott
Heike, mehr rhetorisch,
um Zeit zu gewinnen. Ihre Gedanken rasten.
»Paragraph 159
der Strafprozessordnung«, rasselte der Kommissar
unbeeindruckt herunter und schenkte ihr ein entwaffnendes
Lächeln.
»Also gibt es
jemanden, der bestraft wird?«, spielte Heike das begonnene
Spiel weiter und erntete ein Schulterzucken.
»Das wollen wir
herausfinden. Seltsam ist nur, dass niemandem der anderen
Fahrgäste auffiel, dass der Mann nicht schlief, sondern tot
war.«
»Was hat das zu
bedeuten?«
»Vermutlich ist
er in der fahrenden Schwebebahn verstorben«, überlegte
Norbert Ulbricht und massierte sein Kinn. »Der
Schwebebahnfahrer sagte aus, dass er angenommen habe, der Mann sei
volltrunken gewesen und wäre schlicht
eingeschlafen.«
»Und?«
Heike wunderte sich insgeheim über die Offenheit des
Kripomannes. Ulbricht war eigentlich als stur und eher medienscheu
bekannt.
»Der Arzt
stellte bei dem Schnelltest kaum Alkohol im Blut fest. Er war zwar
angetrunken, aber nicht genug, um einer Alkoholvergiftung zu
erliegen.« Verdammt wiegte den Kopf.
»Und das hat uns
auf den Plan gerufen.«
»Wo ist der
Fahrer der Bahn jetzt?« Heike blickte sich demonstrativ
um.
»Er steht unter
Schock.« Norbert Ulbricht fand, dass diese Auskunft zu
reichen hatte. Vorerst. Vielleicht konnte er die Mitarbeit der
Medien zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal gebrauchen.
Möglicherweise um Zeugen ausfindig zu machen, die sagen
konnten, an welcher Station und in welcher Verfassung der Mann in
die Schwebebahn eingestiegen
war.
»Darf ich mit
ihm reden?«
Ulbrichts Miene
verdunkelte sich schlagartig. »Auf keinen
Fall.«
»Schon
gut«, griente Heike. »Einen Versuch war's wert, und
mehr als nein sagen können Sie nicht.«
»Es wird morgen
Vormittag eine Pressekonferenz geben, zu der ich Sie hiermit
herzlich einlade. Herr Zoch, der Fahrer der verdammten Bahn, wird
aber nicht da sein.«
Heike nickte
nachdenklich und schaltete das Diktiergerät ab. Mehr konnte
sie von dem Kommissar wirklich nicht verlangen - er hatte ihr
geholfen und sie mit Informationen versorgt. Immerhin würde
die Wupperwelle das erste Medium sein, das über den
rätselhaften Toten in der Schwebebahn berichten konnte. Brav
reichte sie Kommissar Verdammt die Hand und bedankte sich für
die Informationen.
»Frau
Göbel?«
Sie hatte das schwere
Eisentor der Halle erreicht und fuhr herum.
Norbert Ulbricht
grinste schief. »Es wäre schön, wenn Sie in Ihrem
Radiobeitrag auf jegliche Spekulationen verzichten würden.
Senden Sie bitte nichts, solange ich Ihnen nicht mit Fakten dienen
kann.« Der schnoddrige Kommissar versenkte die Hände in
den Hosentaschen und begann ein wildes Fummelspiel. Heike beobachtete ihn
bei seinem seltsamen Taschenbillard, bevor sie
antwortete.
»Aber Herr
Kommissar«, rief sie amüsiert. »Sie kennen mich
doch!«
Ehe der Kripomann
etwas erwidern konnte, war die Reporterin bereits durch die eiserne
Tür verschwunden. Norbert Ulbricht zuckte erschrocken
zusammen, als die Eisentür mit einem lauten Knall
zuschlug.
»Eben«,
murmelte er nachdenklich, »eben ...«
*
Heike stand im
Eingangsbereich der Endstation und hatte den Fahrkartenschalter
rechts neben sich. Sie nickte dem jungen Mädchen hinter der
gläsernen Wand knapp zu, bevor sie die ausgelatschten Stufen
hinabschritt und Sekunden später auf der Vohwinkler
Straße stand. Die Sonne stand tief, und so erkannte sie die
gedrungene Gestalt nur schemenhaft, die auf sie zugestürmt
kam.
»Und?« Sie
blieb stehen und formte mit der rechten Hand ein Schild, das sie
sich über die Augen hielt. Ihre größte
Befürchtung wurde noch bei weitem übertroffen.
»Axel Grimm«, stöhnte sie und ließ die Hand
sinken. »Wie reizend.« Axel war ein Kollege der
schreibenden Zunft. Der Reporter verdiente beim Talexpress sein
tägliches Brot, und das, wie es im Kollegenkreis hieß,
nicht immer mit reinen Mitteln. Der Talexpress war ein Wuppertaler
Tageblatt, das sich mit Klatsch und Tratsch auseinander setzte, als
gäbe es keine interessanteren Themen in der Stadt. Zu Recht
betitelte man die Zeitung auch als Käseblättchen und sie
stand dem Ruf der Bildzeitung in nichts nach. Was Grimm im
Besonderen betraf, so vereinigte er alle Seiten, die einen Menschen
so richtig unsympathisch machen: Er war hinterlistig, drehte seinen
Interviewpartnern das Wort im Munde herum, zerriss sie in der Zeitung,
nur um Auflage zu machen, und scherte sich einen Dreck um jeden
journalistischen Anstand.
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