Das Schweigen der Laemmer
Klaus gerade in mein Leben getreten. Jame ist nicht richtig schwul, wissen Sie, es ist nur etwas, das er im Gefängnis aufgegabelt hat. Er ist eigentlich gar nichts, wirklich, nur eine Art totaler Mangel, den er ausfüllen will, und so verärgert. Man hatte immer das Gefühl, das Zimmer sei ein wenig leerer, wenn er hereinkam. Ich meine, er hat seine Großeltern umgebracht, als er zwölf war, man würde doch annehmen, eine derart leichtfertige Person hätte eine gewisse Ausstrahlung, oder etwa nicht?
Und da war er, keinen Job, er hatte irgendeinem unglücklichen Stadtstreicher wieder das Schlimme angetan. Ich war weg. Er war am Postamt vorbeigegangen und hatte die Post seines früheren Arbeitgebers abgeholt, in der Hoffnung, daß etwas dabei sei, das er verkaufen könne. Und da war ein Paket aus Malaysia oder von irgendwo dort. Er machte es gespannt auf, und es war ein Koffer voller toter Schmetterlinge, einfach lose darin. Sein Boß schickte Postmeistern auf diesen ganzen Inseln Geld, und sie schickten ihm Schachteln, aber Schachteln toter Schmetterlinge.
Er ordnete sie in Gießharz an und machte die geschmacklosesten Ornamente, die man sich nur vorstellen kann - und er besaß die Frechheit, sie Objekte zu nennen.
Für Jame waren die Schmetterlinge nutzlos, und er wühlte mit den Händen darin herum, weil er dachte, untendrunter könnten Juwelen sein - manchmal erhielten sie Armbänder aus Bali -, und er bekam Schmetterlingspulver an die Finger. Nichts. Er saß mit dem Kopf in den Händen auf dem Bett, Schmetterlingsfarben an den Händen und im Gesicht, und er war am Boden, genau wie wir alle das mal gewesen sind, und er weinte. Er hörte ein leises Geräusch, und es war ein Schmetterling in dem offenen Koffer. Er quälte sich aus seinem Kokon heraus, den man mit den Schmetterlingen hineingeworfen hatte, und er krabbelte heraus. Von den Schmetterlingen war Staub in der Luft und Staub in der Sonne vom Fenster- Sie wissen, wie schrecklich lebhaft alles ist, wenn jemand es einem stoned beschreibt. Er sah zu, wie er seine Flügel aufpumpte.
Es war ein großer, sagte er. Grün. Und er machte das Fenster auf, und er flog davon, und erfühlte sich so leicht, sagte er, und er wußte, was zu tun war. Jame fand das kleine Strandhaus, das Klaus und ich benutzten, und als ich von einer Probe nach Hause kam, war er da. Klaus sah ich jedoch nicht. Klaus war nicht da. Ich fragte, wo ist Klaus, und er sagte, Schwimmen. Ich wußte, das war eine Lüge, Klaus schwamm nie, im Pazifik krachen die Wellen immer so. Und als ich den Kühlschrank aufmachte, na, Sie wissen, was ich fand. Klaus' Kopf, der hinter dem Orangensaft hervorschaute. Jame hatte sich auch eine Schürze gemacht, wissen Sie, aus Klaus, und erband sie um und fragte mich, wie er mir jetzt gefiele. Ich weiß, Sie müssen darüber entsetzt sein, daß ich überhaupt je etwas mit Jame zu tun gehabt hatte - er war sogar noch labiler, als Sie ihn kennenlernten. Ich glaube, er war genauso verblüfft, daß Sie keine Angst vor ihm hatten.«
Und dann die letzten Worte, die Raspail je von sich gab: »Ich frage mich, warum meine Eltern mich nicht getötet haben, bevor ich alt genug war, sie zum Narren zu halten.«
Der dünne Griff des Stiletts zuckte, als Raspails aufgespießtes Herz weiterzuschlagen versuchte, und Dr. Lecter sagte: »Sieht aus wie ein Strohhalm in einem Ameisenloch, nicht?«, doch für Raspail war es zum Antworten zu spät.
Dr. Lecter konnte sich an jedes Wort erinnern und an noch viel mehr. Angenehme Gedanken, mit denen er sich die Zeit vertrei-ben konnte, während sie seine Zelle saubermachten.
Clarice Starling war schlau, sann der Doktor nach. Mit dem, was er ihr erzählt hatte, würde sie Jame Gumb vielleicht erwischen, aber es war eine vage Vermutung. Um ihn rechtzeitig zu bekommen, würde sie präzisere Angaben benötigen. Dr. Lecter war überzeugt, daß sich beim Lesen der Einzelheiten der Verbrechen Hinweise aufdrängen würden, die möglicherweise mit Gumbs Ausbildung in der Jugendstrafanstalt zu tun hatten, nachdem er seine Großeltern umgebracht hatte. Morgen würde er ihr Jame Gumb geben und es so klar genug machen, daß es selbst Jack Crawford nicht entgehen konnte. Morgen wäre das Ganze erle -
digt.
Hinter sich hörte Dr. Lecter Schritte, und der Fernseher wurde ausgeschaltet. Er spürte, wie der Handwagen zurückkippte. Nun würde der lange, ermüdende Prozeß beginnen, ihn in der Zelle loszubinden. Es geschah stets auf die gleiche Art.
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