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Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Titel: Das Schweigen der Miss Keene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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wieder auf das Siegel richtete. Sie brach es mit steifen Fingern und entfaltete das einzelne Blatt.
    Olivia wartete und wurde immer nervöser. Wozu konnte diese Begegnung gut sein? Es war ein Fehler gewesen, hierherzukommen.
    Sie spürte Mrs Hawthorns eindringlichen Blick und zwang sich, ihm zu begegnen.
    »Sie sind diese Olivia. Ihre Tochter?«
    Olivia nickte.
    Mrs Hawthorn ließ ihre Augen noch einen Moment auf ihr ruhen, dann faltete sie den Brief wieder zusammen. Olivia bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. Wie sehr wollte sie diese Zeilen lesen – jedes Wort, das ihre Mutter geschrieben hatte!
    »Ich fürchte, hier gibt es nichts, was Ihnen weiterhelfen könnte«, sagte die Frau.
    »Nichts?«, fragte Olivia und klang in ihren eigenen Ohren wie ein launisches Kind.
    Mrs Hawthorn legte den gefalteten Brief auf den Stuhl neben sich und verschränkte die Arme, als wäre ihr kalt. Als wolle sie sich schützen. Hatte sie die Sorge, Olivia würde sie um Geld bitten oder verlangen, dass man sie wie ein armes verlassenes Findelkind aufnahm?
    »Ich möchte nichts von Ihnen, Madam«, erklärte Olivia leise, »außer jede Information über meine Mutter, die Sie mir geben können. Ich hatte gehofft, sie wäre vielleicht zu Ihnen gekommen, als sie … verschwand … und mich nicht finden konnte.«
    »Nein, das hat sie nicht getan.«
    Als Mrs Hawthorn sich offensichtlich nicht weiter äußern wollte, erhob sich Olivia und sagte etwas frostig: »Wir werden Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«
    Auch der Earl stand auf.
    »Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass Dorothea Kontakt zu mir aufnehmen würde«, bemerkte Mrs Hawthorn. »Aber falls ich mich irre, verstehe ich es richtig, dass Sie … in Brightwell Court … wohnen?«
    Lord Brightwell, der sich vielleicht genötigt sah, Olivia zu verteidigen und menschliche Wärme zu zeigen, nachdem ihre Großmutter dies nicht fertiggebracht hatte, sagte: »Ja, Miss Keene lebt unter meinem Schutz und dem meines Sohnes.«
    Olivia wunderte sich, warum er seinen Sohn erwähnte. Fürchtete er, Mrs Hawthorn könnte andernfalls eine unschickliche Beziehung zwischen ihm und ihr annehmen? Ihr wurde bewusst, dass das sehr gut möglich war.
    »Es macht allerdings nicht den Anschein, als hätten Sie keine Freunde«, sagte Mrs Hawthorn. Olivia fragte sich erneut, was ihre Mutter geschrieben hatte, und schloss aus den Worten der Frau, dass sie froh war, ihr nicht helfen oder jemals wieder mit ihr in Kontakt treten zu müssen.
    Mrs Hawthorn fügte beiläufig hinzu: »Es könnte Sie interessieren … dass vor ein paar Wochen ein Mann hier auftauchte und nach Dorothea fragte. Ich weigerte mich, ihn zu empfangen, und ließ ihn von meinem Dienstboten wegschicken. Das ging allerdings nicht ganz reibungslos vor sich.«
    Vater?, fragte sich Olivia. Der Wachtmeister? »Was … was für ein Mann war das?«
    »Allem Anschein nach ein Gentleman, obwohl sein Verhalten dies nicht vermuten ließ. Ich muss gestehen, ich warf einen Blick aus dem Fenster und sah, wie er meinen Lakai beschimpfte, als er in seine Halbkutsche stieg. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen.«
    Das konnte nicht der Wachtmeister gewesen sein. Ihr Vater vielleicht, in neuen Kleidern und einer gemieteten Kutsche? Es schien unwahrscheinlich, aber wer sonst konnte es gewesen sein?

31
     
A chain of gold ye shall not lack, Nor braid to bind your hair; Nor mettled hound, nor managed hawk, Nor palfrey fresh and fair. 5
Sir Walter Scott, Jock O’Hazeldean
     
    An einem nebligen Morgen im März führte Olivia die Kinder durch den Wald. Sie trug einen Korb über dem Arm und machte auf Schlüsselblumen, Waldanemonen und die letzten Schneeglöckchen mit ihren bescheiden gesenkten Köpfchen aufmerksam. Sie nannte auch viele Vögel beim Namen – die umherhuschenden Goldammern, die Dohlen, die ihre Nester bauten, und die Saatkrähen, die in einer Linie über die knospenden Baumwipfel hinwegzogen.
    Als sie sich der Hütte des Wildhüters näherten und die Lichtung betraten, war Croome gerade damit beschäftigt, die Schweine zu tränken.
    »Was gibt es denn diesmal?«, fragte er gequält, als wäre es eine Strafe, Delikatessen von der besten Köchin der Gegend zu erhalten.
    Olivia hob den Arm mit dem Korb. »Pastete vom Rumpsteak und Kanarienknödel.«
    Eine graue Braue schoss in die Höhe.
    Sie kicherte über seinen entsetzten Gesichtsausdruck. »Sie werden nicht aus Kanarienvögeln gemacht, Sir.«
    Er streckte die Hand nach dem

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