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Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Titel: Das Schweigen der Miss Keene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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Mündel, in ihrem Alter?«
    Bei diesem Ausbruch duckte sich Miss Keene und sein Vater streckte den Arm zu ihr hinüber und nahm ihre Hand. »Weil ich glaube, wie ich dir gesagt habe, dass sie meine Tochter ist.«
    »Aber das ist verrückt – sie ist eine erwachsene Frau!«
    »Das ist mir bewusst.«
    Edward tigerte in der Bibliothek auf und ab. »Bist du wirklich so fest davon überzeugt, dass sie deine Tochter ist?«
    Lord Brightwell schaute auf Olivias gesenkten Kopf, bevor er sich wieder Edward zuwandte. »Ich bin mehr davon überzeugt als Olivia … aber es spielt für mich keine Rolle, ob sie es ist oder nicht.«
    »Wie kann das keine Rolle spielen?«
    Sein Vater richtete demonstrativ den Blick auf ihn. In der Tat wusste Edward schon, wie wenig diesem Mann eine Abstammung bedeutete.
    Schweigend spürte Edward, wie es in ihm brodelte. Er wurde beinahe von seinen Gefühlen überwältigt.
    Miss Keene stand auf. »Bitte entschuldigen Sie mich«, sagte sie und wandte sich Richtung Tür.
    »Nun gut, meine Liebe«, antwortete Lord Brightwell beruhigend. »Wir reden morgen weiter.«
    Edward erhob sich, doch Olivia wich seinem Blick aus, als sie mit rot-weiß gefleckten Wangen an ihm vorbeieilte.
    Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, seufzte sein Vater. »Das war schlecht gemacht, Edward. Äußerst schlecht gemacht.«
    »Ich weiß.« Edward bereute es, dass er ihre Gefühle verletzt hatte, aber er hatte seine Gründe, dem Plan zu widersprechen.
    »Olivia war meinem Angebot schon recht abgeneigt. Tatsächlich lehnt sie eine öffentliche Anerkennung ab. Dein kleiner Wutanfall war meinem Anliegen nicht gerade dienlich.«
    Edward fragte sich, warum Olivia auf den Schutz, die Beziehungen und die Mittel des Earls von Brightwell verzichten wollte. Fand sie den Gedanken, für unehelich gehalten zu werden, so unerträglich? Was musste sie da von ihm denken, wenn es so war?
    Aber Eward weigerte sich, den brennenden Gedanken in Worte zu fassen, der sein Herz zum Stocken brachte – denn wenn Lord Brightwell Olivia als seine Tochter anerkannte, wären sie und Edward in den Augen der Welt Halbgeschwister.

40
     
Gouvernanten hatten ihre eigene Art, mit der Unvereinbarkeit der sozialen Stellung umzugehen. Dies geschah oft durch eine Form der Flucht.
Carissa Cluesman, A Historical View of the Victorian Governess
     
    Zumindest, sagte sich Olivia, wusste sie jetzt, was Lord Bradley davon hielt, dass sie das Mündel des Earls werden sollte. Er hielt sie für unwürdig, würde sich ihrer schämen – das schien offensichtlich. Das hätte sie nicht überraschen sollen, aber sein Ausbruch hatte sie mehr verletzt, als sie gedacht hätte. Sie hatte den ganzen Weg zum Schulzimmer mit den Tränen gekämpft.
    Sie ging davon aus, dass Lord Bradley sie nach diesem schrecklichen Zusammenstoß meiden würde. Sie selbst hatte auf jeden Fall vor, ihm aus dem Weg zu gehen. Aber zwei Tage später saß sie abends an einem Brief an die Leiterin der Mädchenschule in Kent – die Bekannte von Mr Tugwell –, als Lord Bradley die Tür zum Schulzimmer aufriss.
    Es war schwer zu sagen, was sie mehr erschreckte – der Lärm, als die Tür gegen die Wand krachte, oder die Tatsache, dass er sie beim Verfassen eines Briefes erwischte, den sie heimlich verschicken wollte. Sie zuckte zusammen und zog reflexartig Mangnalls Lehrbuch über den Brief. Der Federkiel in ihrer Hand zitterte und sie legte ihn schnell auf den Schreibtisch.
    Der Blick aus seinen blauen Augen sprang vom Federkiel zum Buch und zu ihrer zweifellos schuldbewussten Miene. Sein Gesicht verfinsterte sich. »Sie schreiben schon den nächsten, wie ich sehe.«
    Er stürmte zum Schreibtisch, das Gesicht grimmig, ein gefährliches Blitzen in den Augen. » Extortus bedeutet Nötigung, hmm?«, imitierte er höhnisch ihren Lateinunterricht. »Dachten Sie wirklich, Sie würden damit durchkommen?«
    Verwirrung und Furcht machten sich in ihr breit. »Wovon reden Sie?«
    Er entfaltete einen Brief, den er zusammengedrückt in der Hand gehalten hatte. »Wir haben diese Nachricht mit der Post bekommen. Das dachte ich jedenfalls erst. Sie trägt jedoch keinen Poststempel und Hodges kann sich nicht erinnern, wie sie ins Haus kam.«
    »Ich habe keine Nachricht geschrieben.«
    »Hier. Vielleicht hilft das Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge.« Mit einer wütenden Geste streckte er ihr die Nachricht hin. Sie nahm sie und las sie. Die derben, niederträchtigen Worte machten sie sprachlos.
Sie haben

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