Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
gestand sie ein. »Vielleicht ist sie endlich gekommen und will mich finden.«
»Aber Sie haben doch einen Brief an die Schule geschickt und mitgeteilt, wo Sie sich aufhielten.«
»Das stimmt. Aber das war vor einigen Monaten. Vielleicht erinnerte sich die Leiterin nicht mehr daran.« Sie hob den Kopf und merkte, dass er sie eindringlich ansah. Sie fragte: »Können Sie mich bitte nach St. Aldwyns bringen?«
Er nickte. »Die Kutsche wartet direkt vor der Tür.«
Lord Brightwell bat Olivia, in der geschlossenen Kutsche auf ihn zu warten und ging die paar Schritte von der Zufahrt zur Tür der Schule. Olivia schaute vorsichtig hinter dem Vorhang des Kutschenfensters hervor und beobachtete, wie eine dünne, ältere Frau zur Tür kam. Lord Brightwell stellte sich vor, die Frau knickste und gab sich als Miss Kirby zu erkennen, eine der Schulleiterinnen.
Der Earl zog die Notiz aus seiner Tasche und zeigte sie ihr. »Deswegen bin ich da.«
Sie warf kurz einen Blick darauf. »Verzeihen Sie, Mylord, aber was hat das mit Ihnen zu tun?«
»Vielleicht eine Menge.« Er zögerte. »Können Sie mir sagen, ob Sie im Auftrag eines Familienmitglieds handeln?«
Nun zauderte die Frau. »Ich weiß nicht … das heißt, ich habe nicht die Freiheit, das zu sagen.«
»Ich würde sehr gern mit dieser Person sprechen.«
»Ich fürchte, meine Schwester, die besser wüsste, wie wir vorgehen sollen, ist im Moment nicht zu Hause. Könnten Sie vielleicht ein andermal wiederkommen?« Sie machte Anstalten, die Tür zu schließen.
»Olivia wird enttäuscht sein«, erwiderte er geschickt und die Tür öffnete sich wieder.
Das Gesicht der Frau wurde lebhaft. »Haben Sie sie gesehen, Mylord?«
»Ja. Sie hat die vergangenen Monate in Brightwell Court verbracht. Ich möchte sie gern zu meinem Mündel machen.«
»Ist sie jetzt hier?« Olivia hörte die unterdrückte Aufregung in der Stimme der Frau.
Wieder zögerte der Earl. Er wollte ihren Aufenthaltsort nicht verraten, solange er nicht wusste, wer nach ihr suchte. »Gegenwärtig nicht. Aber ich weiß, wo sie ist.«
»Und geht es ihr gut?«
Olivia hörte nicht, was der Earl darauf antwortete.
»Das ist eine großartige Neuigkeit. Ich werde diese Information an … an den Auftraggeber weiterleiten.«
»Danke.« Der Earl gab der Frau seine Karte.
»Ich denke, ich sollte Ihnen sagen, Mylord«, begann Miss Kirby nervös, »dass Sie nicht der Erste sind, der sich nach Miss Keene erkundigt.«
Eine dunkle Vorahnung erfüllte Olivia, als sie das hörte. War ihr Vater in der Schule gewesen, bevor er nach Brightwell Court gekommen war?
»Oh. Wer war das?«, fragte Lord Brightwell.
»Die Frau nannte keinen Namen.«
»Eine Frau? Wie alt war sie? Wie sah sie aus?«
Olivia war zwischen Hoffnung und Zurückhaltung hin- und hergerissen. War es doch ihre Mutter gewesen?
»Das kann ich leider nicht sagen. Sie war völlig verschleiert. Eine wohlhabende Frau, würde ich annehmen. Sie hatte auf jeden Fall eine distinguierte Stimme. Nicht alt, aber auch kein Mädchen mehr.«
War die verschleierte Frau wirklich ihre Mutter? Hatte sie sich verkleidet, um nicht von Simon Keene erkannt zu werden, weil sie nicht wusste, dass er verhaftet worden war?
»Was hat sie gesagt?«, wollte der Earl wissen.
»Sie versuchte meine Schwester zu überreden, ihr zu verraten, wer nach Miss Keene suchte und aus welchem Grund. Sie sagte, sie würde gern mit dieser Person über Miss Keene sprechen.«
»Aber sie haben kein solches Treffen arrangiert?«
»Meine Schwester war versucht, es zu tun. Die Frau schien so ernsthaft besorgt. Aber im letzten Moment hatte sie das Gefühl, es sei doch nicht richtig.«
»Gott sei Dank.«
»Am Freitag um zwei Uhr will diese Frau zurückkommen.«
»Dann dürfen Sie mich am Freitag um ein Uhr erwarten.«
Entschlossen, seine Niedergeschlagenheit zu überwinden, schleppte Edward seine müden Knochen die vielen Stufen zum Kinderzimmer hoch. Er war in letzter Zeit nicht mehr so oft dort gewesen und kannte den Grund. Aber ein Besuch bei seinen jungen Verwandten würde ihn vielleicht aufheitern.
Er traf nur auf Miss Peale, die reglos in ihrem Schaukelstuhl saß und ins Leere starrte.
»Hallo Miss Peale«, begrüßte er sie freundlich. »Wie geht es Ihnen?«
»Master Edward, mein lieber Junge.«
»Wo sind die Kinder?«
»Becky ist mit den beiden älteren nach draußen gegangen. Alexander macht sein Schläfchen.«
Er nickte und fragte dann: »Sie waren hier, als ich zur Welt
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