Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
gegeben hatte. Sie spürte seine braunen Augen auf ihrem Körper, während sie auf den Teppich einschlug, aber schließlich gab er wohl auf, denn als sie einen Blick über die Schulter zurückwarf, war er verschwunden.
Ein paar Minuten später spürte sie, dass erneut jemand hinter ihr stand. Mit einem tadelnden Lächeln drehte sie sich um und erwartete, Johnny zu sehen. Das Lächeln verging ihr auf der Stelle.
»Haben Sie Ihren Bewunderer erwartet?«, spottete Lord Bradley.
Olivia sah sich um und merkte, dass der aufgehängte Teppich sie vor Blicken aus dem Haus abschirmte. Vielleicht sah er darin eine Gelegenheit, seiner Drohung Nachdruck zu verleihen, ohne mit ihr gesehen zu werden oder die Kinder dabei zu haben. Sie wünschte sich den lächelnden Lord Bradley aus dem Kinderzimmer zurück und fragte sich, was aus ihm geworden war.
»Ich dachte, Sie hätten verstanden, dass Sie sich mit niemandem unterhalten dürfen.«
Bevor sie reagieren konnte, fuhr er fort: »Nach dem Grinsen auf Ross' Gesicht zu schließen, haben Sie eine Menge mit Ihren Augen gesagt. Vielleicht haben Sie ihm für später ein Rendezvous versprochen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich hoffe nicht. Wenn er wieder mit Ihnen gesehen wird, ist es gut möglich, dass er seine Stellung hier verliert.«
Sie rang nach Luft. »Das ist nicht in Ordnung!«
Ihr Ausbruch überraschte sie beide. Lord Bradley war für einen Moment zum Schweigen gebracht, doch dann sprach er ruhig weiter. »Ihre Stimme ist zurückgekehrt, wie ich feststelle. Was haben Sie zu Ross gesagt?«
»Nichts«, antwortete sie mit rauer Stimme.
Er musterte sie mit starrem Blick, als versuche er, ihre Ehrlichkeit abzuschätzen. »Und Sie werden auch weiterhin nichts zu ihm sagen, bis ich Ihnen die Erlaubnis gebe.«
Sie war empört. »Sie können nicht –« Sie schluckte. Ihre Kehle fühlte sich trocken und kratzig an. »Sie können nicht von mir erwarten, dass ich für immer schweige.«
»Im Schwanen ist Ihnen das ganz gut gelungen, als es zu Ihrem Vorteil war.«
»Aber da konnte ich nicht sprechen«, erwiderte sie heiser.
»Und jetzt werden Sie es auch nicht tun.«
»Aber drei Monate lang? Das ist unmöglich!«
»Ich vermute, für eine Frau ist das doppelt schwer.«
Olivia verkniff sich eine Widerrede und argumentierte stattdessen: »Das ergibt keinen Sinn. Wenn ich es jemand erzählen wollte, könnte ich das tun« – sie schluckte wieder – »und trotzdem vor allen anderen so tun, als wäre ich stumm.«
»Glauben Sie wirklich, in einem Haushalt wie diesem würde ich es nicht in Minutenschnelle erfahren, wenn Sie etwas sagen würden?«
Sie hob die Hände. »Ich verspreche Ihnen, dass ich keiner Menschenseele erzählen werde, was ich gehört habe.«
»Was ist ein Versprechen von Ihnen schon wert?«
Fassungslos starrte Olivia ihn an. Sie fühlte sich, als hätte er ihr ins Gesicht geschlagen.
Er verzog das Gesicht. »Es tut …« Er kratzte sich am Hals. »Das hätte ich nicht sagen sollen. Aber –«
»Wenn Sie so gering von mir denken«, erwiderte sie steif, »warum schicken Sie mich dann nicht weg und der Fall ist erledigt?«
»Weil ich nicht riskieren kann, dass sich irgendwo eine lose Zunge aufhält.« Als spräche er zu sich selbst, fügte er hinzu: »Vor allem jetzt nicht.«
Sie fragte sich, was er meinte.
Er richtete sich auf und fuhr schnell fort: »Aber in ein paar Monaten sollten einige wichtige Angelegenheiten geregelt sein. Vielleicht kann ich mich dann mit der … der neuen Information befassen, die Sie belauscht haben.«
»Aber vorzugeben, ich könne nicht sprechen, wenn ich es sehr wohl kann … andere auf diese Weise zu betrügen, das ist nicht richtig!«
»Genauso wenig wie Lauschen«, gab er in abschließendem Ton zurück und marschierte davon.
10
Wenn das Wetter günstig sein sollte, werden die Kinder von der Kindermädchenhelferin nach draußen gebracht, damit sie an der Luft sind und sich bewegen können. Bei schlechtem Wetter sollte der Tag solchen Unterhaltungen gewidmet sein, die drinnen für Bewegung sorgen, wie Tanzen, Seilspringen und das Spielen mit Hanteln.
Samuel & Sarah Adams, The Complete Servant
Die Haushälterin stand vor Edwards Schreibtisch. »Die Kinder würden gerne durch den Wald gehen, um Herbstlaub und derlei Dinge zu sammeln«, begann Mrs Hinkley. »Erlauben Sie, dass Livie mit ihnen hinausgeht?«
Edward bemerkte, dass Miss Keene respektvoll ein paar Schritte hinter der Haushälterin stand. Warum hatte sie
Weitere Kostenlose Bücher