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Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)

Titel: Das Schweigen der Miss Keene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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Rande seines Bewusstseins nahm er wahr, dass Croome die Kadaver aus dem Weg zog. Edward kroch zu Miss Keenes Füßen und hob ihre Röcke gerade so weit, wie es nötig war. Er zuckte zusammen. Ein kleines Stück unter dem Knie tröpfelte Blut rot durch den Strumpf. Oh Gott, nein …
    Er erinnerte sich nur zu gut an die Geschichten seines Vaters, wie die Tollwut in seiner Jugendzeit in London gewütet hatte. Nutztiere und Menschen waren zu Hunderten gestorben und Jungen konnten sich fünf Schilling mit jedem Hund verdienen, den sie töteten. Die Angriffe tollwütiger Hunde und Füchse waren in den letzten Jahren nicht mehr so häufig gewesen, aber die Krankheit – und die Furcht davor – hatte England nie verlassen.
    Edward schob den Strumpf nach unten und betrachtete die Wunde. Der Biss schien nicht tief zu sein; der dicke Stoff ihrer Röcke hatte das Biest zweifellos gehindert, richtig zuzupacken. Er warf ihren Schuh zur Seite, riss hastig den Strumpf von ihrem Bein, wickelte ihn oben um den Unterschenkel und zog ihn möglichst fest zusammen. Croome tauchte wieder auf und überwachte sein Vorgehen mit wortloser Zustimmung. Der alte Mann zog sein Jagdmesser aus der Scheide, entkorkte seinen Flachmann, schüttete etwas von dem Brandy über das Messer und reichte ihm die Flasche. Edward bespritzte die Wunde mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Croome hielt ihm das Messer hin, aber als Edward zögerte, ließ sich der Alte ächzend auf die Knie nieder und schnitt die verwundete Stelle kurzerhand auf. Olivia stöhnte, kam jedoch nicht zu Bewusstsein. Als die Blutung sich verstärkte, spülte sie Edward mit weiterem Brandy weg. Er wusste nicht, ob all das helfen würde, aber was hätte er sonst tun sollen? Erneut begegnete er Croomes Blick aus den tiefen Augenhöhlen, unter wilden grauen Augenbrauen. Der stets finstere Gesichtsausdruck des Mannes machte ihm keine Hoffnung.
    Edward nahm Olivia auf seine Arme und trug sie so schnell er konnte den Pfad hinauf. Croome folgte ihm nicht. Als er den Rasen am Haus erreichte, sah er Talbot und Johnny, die mit einem neuen Pferd beschäftigt waren.
    »Talbot!«, brüllte er. »Schicken Sie Ross auf Ihrem schnellsten Pferd zu Dr. Sutton. Miss Keene ist verletzt worden.«
    »Verletzt?«, fragte Johnny mit besorgtem Blick.
    »Tollwütige Hunde«, stieß Edward hervor.
    Der junge Mann wurde blass und konnte es nicht eilig genug haben, sich auf den Weg zu machen.

20
     
Ein Mitglied des eigenen Haushalts zu heiraten, selbst aus dessen oberen Schichten, galt als gravierender Verstoß gegen die gesellschaftlichen Regeln.
Mark Girouard, Life in the English Country House
     
    Dr. Sutton traf in derselben Stunde ein. Mit Mrs Hinkleys Hilfe spülte er die Wunde mit warmem Seifenwasser aus, dann mit verdünnter Salzsäure. Als er Edward für sein geistesgegenwärtiges Handeln mit Messer und Brandy lobte, erklärte Edward, dass er dies seinem Wildhüter zu verdanken hatte, der gewusst hatte, was zu tun war.
    »Avery Croome hat das gemacht?« Sutton hob die Brauen und schob die Unterlippe vor, doch ob er beeindruckt oder nur überrascht war, konnte Edward nicht erkennen.
    Dr. Sutton wusch auch Olivias Wunde am Kopf aus und verband sie. Diese Verletzung nannte er auch als Grund für ihre Bewusstlosigkeit – ein Biss, selbst von einem tollwütigen Hund, würde dies nicht bewirken.
    »Wie lange dauert es, bis wir wissen, ob sie angesteckt wurde?«
    Sutton zuckte die Achseln und schob seine Brille nach oben. »Die Symptome zeigen sich möglicherweise erst nach einer Woche oder später.«
    »Wie könnten sie aussehen?«, wollte Mrs Hinkley wissen.
    »Schmerz und Jucken an der Wunde, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Übelkeit, die Weigerung, zu essen oder zu trinken, Unruhe, Aggressionen …«
    Edward schüttelte sich. »Und wenn diese Symptome auftreten?«
    »Dann können wir nichts mehr für sie tun und nur noch versuchen zu verhindern, dass sie die Krankheit an andere weitergibt. Sobald die Symptome sich in vollem Ausmaß zeigen, sterben die Opfer normalerweise innerhalb einer Woche.«
    Eine dumpf schmerzende Furcht pulsierte durch Edwards Körper. »Wie lang wird sie bewusstlos bleiben?«
    »Das weiß nur Gott. Kopfverletzungen sind wirklich geheimnisvoll. Soll ich mich um eine Heimpflegerin kümmern?«
    »Ja, und ich werde mich an ihrem Dienst beteiligen, wenn Sie nichts dagegen haben«, bot Mrs Hinkley an. »Auch eine Heimpflegerin braucht ab und zu eine Pause.«
    Edward nickte zustimmend und

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