Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
murmelte ein paar einfallslose Dankesworte für beide.
Dr. Sutton fuhr damit fort, die Wunde gründlich auszuwaschen. Er erklärte, die beste Behandlungsmethode sei, alles Menschenmögliche zu tun, um zu verhindern, dass der Speichel des Hundes sich im Körper des Opfers ausbreiten konnte.
Denn für diese Krankheit gab es keine Heilung.
Edward kehrte später am Abend ins Krankenzimmer zurück, um die Lohnpflegerin zu fragen, ob sie sich ausruhen wolle. Zu seiner Überraschung saß der Earl bei Miss Keene, und Edward spürte einen Stich des Kummers, dass sein Vater so bald nach dem Tod seiner Frau wieder an einem Krankenbett wachte. Die matronenhafte Krankenschwester saß in der Ecke und arbeitete im Licht einer Kerze an einer Stickerei.
»Irgendeine Veränderung?«, flüsterte Edward und ließ den Blick über Olivias von Betttüchern verhüllte Gestalt gleiten.
»Sie wird unruhig«, antwortete sein Vater leise.
Als hätte sie seine Worte gehört, zog Miss Keene die Stirn kraus, wandte das Gesicht ab und drehte den Kopf dann wieder zurück.
Edward erinnerte sich an die Liste der Symptome, die der Arzt genannt hatte, und spürte Angst in sich aufsteigen. »Ich wäre auch unruhig, wenn ich den ganzen Tag herumliegen müsste«, sagte er mit gespielter Zuversicht.
Sein Vater warf ihm einen kurzen Blick zu. »Keine Anzeichen von Übelkeit. Oder« – er versuchte zu grinsen – »von Schlaflosigkeit. Und Schwester Jones hier hat sie dazu gebracht, etwas Wasser zu schlucken. Das ist ein weiteres gutes Zeichen, nicht wahr?«
»Ich hoffe es«, antwortete Edward.
Als spüre er das Unbehagen seines Sohnes, bat Lord Brightwell die Pflegerin, sie ein paar Minuten allein zu lassen. Er schlug ihr vor, in der Küche eine Tasse Tee zu trinken.
»Dagegen hab ich nichts, Mylord.« Sie erhob sich steif und verließ den Raum.
Nach einigen Momenten des Schweigens gestand Edward: »Es war meine Schuld, dass sie in den Wald gerannt ist.«
Der Earl zog fragend die Brauen in die Höhe, bedrängte Edward jedoch nicht. »Das Wichtigste ist jetzt, dass sie wieder gesund wird.«
»Ja. Ich fürchte, ich muss mich für vieles entschuldigen.«
»Dazu gibt es mehr Gründe, als dir bewusst ist«, antwortete der Earl. Seine Augen wurden sanft, als sie auf Olivias blassem Gesicht ruhten.
»Wie meinst du das?«, fragte Edward. Der warme Ton seines Vaters und seine geheimnisvollen Worte legten sich wie eine schwere Last auf seinen Magen. Sein Vater konnte doch unmöglich Absichten auf dieses Mädchen haben.
Als ihre Blicke sich trafen, glänzten die Augen des älteren Mannes feucht. »Ich denke, dass Olivia möglicherweise meine Tochter ist.«
»Was?«, brauste Edward auf.
»Psst …«, ermahnte ihn der Earl und beide richteten den Blick wieder auf die reglose Gestalt von Miss Keene.
»Olivia kommt sehr nach ihrer Mutter«, flüsterte Edwards Vater ehrfürchtig. »Deshalb war ich so verblüfft, als ich sie das erste Mal sah. Ihr Aussehen, ihre Intelligenz und Warmherzigkeit – in allem ist sie Dorothea so ähnlich.«
»Wer ist Dorothea?«, hakte Edward ungeduldig nach, während eine dunkle Wolke sein Inneres zu überwältigen drohte.
»Sie war die Gouvernante meiner Halbschwestern, deiner Tanten Margery und Philippa.« Der Earl runzelte plötzlich die Stirn. »Setz dich bitte, mein Junge. Ich bekomme einen steifen Hals.«
Edward gehorchte und ließ sich auf dem letzten freien Stuhl nieder. Die harten hölzernen Latten bohrten sich in seinen Rücken. Wer hatte dieses Folterinstrument nur konstruiert?
»Olivias Haar ist dunkler, aber die Ähnlichkeit ist trotzdem frappierend.«
»Und diese Dorothea war … deine Geliebte?«
Der Earl zuckte zusammen. »Nein, so billig war das Ganze nicht. Wir glaubten, verliebt zu sein. Ich wollte sie heiraten, aber wie du dir vielleicht denken kannst, wollte mein Vater nichts davon wissen.«
Edwards Vater stand auf und stellte sich ans Fenster. Er betrachtete den Mond, der sein wächsernes Licht über die weiße Welt unter ihm ergoss. »Mein Vater bedrängte mich, deine Mutter zu heiraten, da die Estcourts eine so angesehene und wohlhabende Familie sind.« Er seufzte. »Natürlich konnte niemand von uns ahnen, dass er kein Jahr später sterben würde. Auf jeden Fall hatte ich kaum meine Zustimmung gegeben, als das Aufgebot bestellt wurde und der Hochzeitstag nur drei Wochen danach stattfinden sollte. Sobald Dorothea es erfuhr, kündigte sie ihre Stelle und reiste ab, ohne ein Wort darüber
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