Das Schweigen der Schwaene
widerstehen. Was man nicht wollte, brauchte man nicht zu tun. Und sie wollte weder die Ablenkung noch die heiße Gedankenlosigkeit, die ein sexuelles Abenteuer bot. Sie wollte kühl und zielgerichtet arbeiten, wollte distanziert sein, losgelöst von der Welt.
Sie wandte sich zu Tanek um. Er lag in ihrer Nähe, die Augen geschlossen und eine schlaffe Hand in Richtung des Feuers gestreckt. Eine starke, wohlgeformte, zupackende Hand mit kurz geschnittenen Nägeln. Sie kannte diese Hand. Sie kannte ihre Stärke, ihre tödliche Kraft. Eine gefährliche Hand. Auch wenn sie im Augenblick keine Gefährlichkeit ausstrahlte, sondern reine Kraft... und Männlichkeit. Sie hatte immer gerne Hände gemalt. Sie hatten etwas Magisches. Hände bauten Städte und schufen große Kunstwerke, sie konnten brutal sein oder sanft, Schmerzen bringen oder Leidenschaft.
Wie Tanek.
Sie hatte das Gefühl, als schmelze sie bereits beim bloßen Anblick der Hand dieses verdammten Kerls. Warum in aller Welt musste ihr das passieren? Warum hatte er ihre Sexualität geweckt?
Aber es war noch nicht zu spät. Vielleicht legte sich ihr Verlangen ja wieder, wenn sie sich dazu zwang?
Sie machte die Augen wieder zu. Sie roch die immergrünen Büsche und das verbrennende Eichenholz und spürte die Kälte der Luft. Mit einem Mal nahm sie Geräusche und Düfte der Umgebung sowie die Rauheit der Wolldecke an ihren bloßen Armen überdeutlich war. Nichts hatte sich geändert. Jill war immer noch tot. Ihr Körper hatte nicht das Recht zu dieser Empfindsamkeit.
Zur Hölle mit dem Kerl.
»Stärker«, sagte Tanek. »Nicht so träge. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich Sie heute morgen schon zweimal flachgelegt.«
Sie wirbelte herum und trat ihm in den Bauch.
Er taumelte rückwärts, doch sofort hatte er sich weit genug erholt, um ihren Arm zu packen, als sie näher kam. Er schleuderte sie auf den Boden und setzte sich rittlings auf ihren Bauch.
»Lassen Sie mich hoch«, keuchte sie
»Maritz ließe Sie auch nicht wieder hoch.«
»Ich war abgelenkt. Das wäre Maritz gegenüber nicht der Fall.«
Er stand auf und zog sie auf die Füße. »Und warum sind Sie abgelenkt? «
»Ich habe nicht gut geschlafen.«
»Das tun Sie doch nie. Sie wandern jede Nacht durchs Haus als wären Sie irgendein Geist.«
Sie hatte nicht gewusst, dass ihm ihre nächtliche Unruhe aufgefallen war. »Falls ich Sie gestört habe, tut es mir leid.«
»Und ob es mich gestört hat.« Er wandte ihr den Rücken zu.
»Nehmen Sie ein Bad, und dann legen Sie sich ein bisschen hin.
Ich will Sie wach und rasiermesserscharf beim Training sehen.«
So wie er selbst. Seit sie vor zwei Tagen aus den Hügeln zurückgekommen waren, war er rasiermesserscharf und ungewöhnlich gereizt. Sie wusste zwar nicht, was sie erwartet hatte, auf keinen Fall jedoch die barsche Gleichgültigkeit, die er ihr seither zuteil werden ließ.
Nein, Gleichgültigkeit war das falsche Wort, denn ihre Nähe schien ihm ständig bewusst zu sein, und das war ein Teil des Problems. Unter der kühlen, beißenden Oberfläche ließ er sie spüren, wie bewusst ihm ihre Nähe war.
Und ihr war seine Nähe bewusst. Stärker als alles andere.
»Gehen Sie ins Bett.« Tanek klappte sein Buch zu und stand auf.
»Es ist schon spät.«
»Gleich. Ich will nur noch diese Skizze fertig machen.« Sie blickte nicht auf. »Gute Nacht.«
»Ich dachte, Sie hätten inzwischen sämtliche Skizzen von Michaela gemacht? «
»Ein paar mehr tun nicht weh.«
Sie spürte seinen Blick, aber immer noch sah sie nicht auf.
»Bleiben Sie nicht zu lange auf. Heute morgen waren Sie so groggy, dass das Training die reinste Zeitverschwendung für mich war.«
Sie fuhr zusammen. »Ich werde versuchen, Sie nicht noch einmal zu enttäuschen.«
»Wenn doch, setze ich das Training für eine Woche aus. Wie gesagt, ich glaube daran, dass Belohnungen und Strafen etwas sehr Sinnvolles sind.«
»Sind Sie sicher, dass Sie nicht nur eine Entschuldigung suchen, um mit dem Unterricht aufzuhören? « fragte sie in ruhigem Ton.
»Vielleicht. Geben Sie mir lieber keinen Grund.«
Als er den Raum verließ, atmete sie erleichtert auf. Wenn er in ihrer Nähe war, fiel es ihr schwer, ihn nicht ständig anzusehen.
Der Anblick seines langen, geschmeidigen Körpers, der im Ledersessel lungerte, oder seiner Hand, die die Seiten des Buches umblätterte, störte sie ebenso wie der Duft nach Seife und Rasierwasser, der ihn umgab.
Als sie die letzten Striche des
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