Das Schweigen der Schwaene
unbedingt. Es heißt lediglich, dass ich vorsichtig sein muss, bis es mir gelingt, meine Position wieder zu festigen.«
»Wenn du lange genug lebst, um das zu tun.«
»Stimmt. Diese Voraussetzung muss natürlich erfüllt sein, damit mir das gelingt.«
»Hör auf zu grinsen«, fuhr sie ihn an. »Ich sehe nicht, was an dieser Sache lustig ist.«
»Ich auch nicht. Aber du bist so ernst, dass es für uns beide reicht.«
Am liebsten hätte sie ihm einen Schlag versetzt. »Stimmt. Du denkst, dass man jede Minute seines Lebens soweit wie möglich genießen sollte. Verdammt, ist dir nicht klar, dass soeben all deine verdammten Schutzwälle eingerissen worden sind und dass sie jetzt einfach über dich hinwegrollen werden? «
Er sah sie nachdenklich an. »Mir ist klar, dass dich der Gedanke an mein Ableben aus der Fassung bringt. Das gefällt mir.«
Ihr gefiel es nicht. Sie wollte nicht die Panik empfinden, die beim Anblick von Nicholas' blutverschmiertem Gesicht über sie hereingebrochen war. »Was wirst du jetzt tun? «
»Dasselbe wie zuvor. Aber ich werde vorsichtiger sein.«
»Du solltest noch nicht einmal im selben Land sein wie er.« Sie wandte den Blick von ihm ab. »Es ist nicht - ich bin dir nicht böse - wenn du die Sache nicht mehr durchziehen willst.«
Sein Lächeln schwand. »Hast du vergessen, dass ich die Sache nicht angefangen habe, um dir behilflich zu sein? Und ich habe bestimmt nicht die Absicht, mich jetzt kampflos
zurückzuziehen.«
Sie wusste nicht, ob sie angesichts dieser Erwiderung mehr Angst oder mehr Erleichterung empfand. »Ich wollte nur, dass du es weißt.« Und nach einer Pause fügte sie hinzu: »Natürlich würdest du nicht...«
»Nell«, unterbrach er sie ruhig. »Es wird alles gut werden.
Allerdings ist im Augenblick eine gewisse Schadensbegrenzung erforderlich.«
Schadensbegrenzung. Das hatte auch Kabler beim Anblick des brennenden Hauses gesagt. Tod und Zerstörung und die allseits beliebte Schadensbegrenzung - um etwas anderes ging es nicht.
»Wie du meinst. « Sie befeuchtete ihre trockenen Lippen.
»Aber unter den gegebenen Umständen sollten wir wohl nicht so schnell vorgehen, wie ich es wollte. Am besten warten wir wahrscheinlich Silvester ab.«
Sein Gesicht wurde von einem Lächeln erhellt. »Wenn es das ist, was du willst.«
»Nein.« Sie wandte ihm den Rücken zu und kehrte zum Haus zurück. »Es ist das, was wir tun müssen, damit du nicht von ihm ermordet wirst.«
Am nächsten Morgen tauchte Jamie bei ihnen auf. Die frischen Croissants gab er Nell und die ebenfalls mitgebrachte Zeitung warf er vor Nicholas auf den Tisch. »Ich sagte ja bereits, dass du in Schwierigkeiten bist.«
»Sandequez? «
»Tod wie ein Sargnagel. Er wurde von der kolumbianischen Antidrogenbrigade auf seiner Hazienda in den Bergen erwischt.
Sie haben das gesamte Terrain dem Erdboden gleichgemacht.«
»Wann? «
»Ungefähr drei Stunden, bevor ich aus Pardeaus Wohnung gekommen bin. Da es erst nach acht Stunden die erste öffentliche Meldung gab, würde ich sagen, dass Gardeaux Vorabinformationen gehabt haben muss.«
»Oder vielleicht stammen die Informationen sogar von ihm.
Sandequez war gut bewacht. Die Polizei hat seit Jahren versucht, ihn zu erwischen.«
Jamie pfiff durch die Zähne. »Du meinst, Gardeaux hat Sandequez den Behörden ans Messer geliefert. Himmel, was für ein widerlicher Kerl.«
»Warum sollte er das tun? « mischte Nell sich ein. »Hast du nicht gesagt, Sandequez wäre einer der Männer, für die Gardeaux tätig ist? «
»Ja, aber ich bin Gardeaux bereits seit langer Zeit ein Dorn im Auge, und es könnte sein, dass ihm Sandequez Abgang in mehr als einer Beziehung nützlich ist.«
Jamie nickte. »Vielleicht klettert er auf diese Weise die Karriereleiter noch ein bisschen weiter rauf. Außerdem hatte die kolumbianische Regierung eine Belohnung in Höhe von fünf Millionen Dollar auf Sandequez' Ergreifung ausgesetzt. Dieses Sümmchen macht sich auf einem von Gardeaux' Schweizer Konten bestimmt nicht schlecht.« Und an Nicholas gewandt, fragte er: »Du denkst also, dass er den kolumbianischen Behörden einen Tipp gegeben hat? «
»Vielleicht.« Nicholas zuckte mit den Schultern. »Aber das ist eine rein akademische Frage. Sandequez ist tot, und das bedeutet, dass ich mich, bis wir bereit sind, mit Nell versteckt halten muss.«
Nell versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie erleichtert sie war. »Eine solch vernünftige Entscheidung hätte ich dir gar
Weitere Kostenlose Bücher