Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schweigen der Schwaene

Das Schweigen der Schwaene

Titel: Das Schweigen der Schwaene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
Vom Netzwerk:
einem jeder Mensch verdächtig war? »Ich verstehe.«
    Nicholas sah sie an. »Nein, Sie verstehen nicht. Sie haben nicht die geringste Ahnung, wie es ist.«
    Seine Worte enthielten eine solche nur mühsam gezügelte Wildheit, daß sie überrascht zusammenfuhr. Nur kein Streit.
    Einen Konflikt ertrüge sie im Augenblick einfach nicht. Sie  lehnte sich in ihrem Sitz zurück und klappte die Augen zu.
    »Falls es Ihnen nichts ausmacht, unterhalte ich mich im Augenblick lieber nicht.«
    »Wie höflich Sie doch sind. Gardeaux hat ebenfalls hervorragende Manieren. Zweifellos wird er selbst dann noch die passenden Worte wählen, wenn er Maritz befiehlt, Ihnen an die Gurgel zu gehen.«
    »Nick, sie sieht nicht gerade so aus, als ob sie...«, setzte Jamie an. »Meinst du nicht, daß das noch warten kann? «
    »Nein«, erwiderte Nicholas barsch.
    Sie war ein Feigling. Sie zwang sich, ihn anzusehen. »Sagen Sie nur alles, was Ihnen auf dem Herzen liegt.«
    Er musterte sie kühl. »Später.« Dann wandte er sich ab und blickte zum Fenster hinaus.
    Nicholas besorgte ihr ein Zimmer, das drei Türen neben seiner und Jamies Suite gelegen war.
    Nachdem Jamie seine Tür aufgeschlossen hatte, wandte er sich mit einem Lächeln um. »Schlafen Sie gut. Was mir
    unglücklicherweise wohl kaum passieren wird. Ich werde die Reime des Gedichts erproben, das ich Ihnen morgen früh vor die Füße legen will.«
    »Lassen Sie sich von ihm nicht blenden«, sagte Nicholas und schob sie den Flur hinab. »In spätestens zehn Minuten schläft er wie ein Murmeltier.«
    »Er hat einfach keine Seele«, seufzte Jamie und öffnete die Tür.
    »Das kommt davon, daß er mit Schafen und anderen rauhen Geschöpfen zusammenlebt.«
    Nell lächelte. »Gute Nacht, Jamie.«
    Nicholas schloss die Tür zu ihrem Zimmer auf und trat vor ihr ein. Er machte Licht und drehte am Thermostat der Heizung herum. »Haben Sie etwas gegessen, bevor wir heute mittag  aufgebrochen sind? «
    »Nein.«
    Er ging zum Telefon und gab eine Nummer ein. »Gemüsebrühe.
    Milch. Obst.« Er sah sie an. »Sonst noch was? «
    »Ich habe keinen Hunger.«
    »Das ist alles.« Mit einem leicht verzerrten Lächeln hängte er den Hörer ein. »Aber Sie werden alles aufessen. Denn wenn Sie nicht anständig essen, verlieren Sie Kraft. Und Kraft ist doch Ihre neue Religion, nicht wahr? «
    »Ich werde essen. Gehen Sie jetzt? «
    »Wenn der Zimmerservice dagewesen ist.«
    Sie lächelte schwach. »Man weiß schließlich nie, wer den Servierwagen schiebt.«
    Er antwortete nicht, und sie sah sich in dem großen, luftigen Zimmer um. Grauer Teppich, eine elegante, golden gestreifte Couch, goldene Damastvorhänge vor der Flügeltür zum Balkon.
    Balkon.
    Sie hörte, wie Nicholas zischend einatmete. »Ich habe vergessen, daß alle Räume auf dieser Seite mit Balkonen ausgestattet sind. Wollen Sie, daß ich Ihnen ein anderes Zimmer besorge? «
    O Gott, nach dem Tag, den sie hinter sich gebracht hatte, war sie einfach nicht bereit für eine weitere Erprobung ihrer nervlichen Belastbarkeit. Am liebsten hätte sie sich schluchzend unter dem Bett versteckt. Aber sie konnte sich nicht verstecken. Mit dem Versteckspiel war es ein für alle Male vorbei. »Nein, natürlich nicht.« Sie holte Luft und trat an die gläserne Tür. »Kann man die aufmachen? «
    »Ja.«
    »Ich war schon oft in Hotels, in denen die Türen abgeschlossen waren. Ich nehme an, auf diese Weise sollten Unfälle vermieden werden, aber Richard war immer vollkommen außer sich.« Sie
    sprach schnell, sprach irgendetwas, um nicht daran zu denken, was sie hinter dieser Tür erwartete. »Er hat die Aussicht, die einem ein Balkon bietet, geliebt. Er sagte, wenn er von einem Balkon runtersähe, bekäme er jedesmal ein regelrechtes Hochgefühl.«
    »Wahrscheinlich hat er dabei an Peron oder Mussolini gedacht, wie sie dem Pöbel winken, der sich zu ihren Füßen versammelt hat.«
    »Das ist nicht nett.«
    »Ich habe auch nicht das Bedürfnis, nett zu sein. Verdammt, bleiben Sie...«
    Sie öffnete die Tür, und kalter Wind blies ihr ins Gesicht. Nicht wie auf Medas, sagte sie sich. Dieser Balkon war winzig und zweckmäßig, sonst nichts. Auch der Blick hielt dem von Medas nicht stand. Man sah weder Felsen noch eine wogende Brandung unter sich. Sie trat dicht an das hohe Geländer und blickte auf die Lichter und die Autos, die sich tief unter ihr wie Glühwürmchen über die Straßen bewegten, hinab.
    Zwei Minuten. Sie gäbe sich zwei Minuten, und dann

Weitere Kostenlose Bücher