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Das Schweigen der Schwaene

Das Schweigen der Schwaene

Titel: Das Schweigen der Schwaene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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diejenige gewesen, die hätte sterben sollen, diese widerliche Kuh. Er hatte es nicht gewollt. Er hatte seinen Vater nur leicht angestoßen, und dann war der Alte diese Treppe runtergestürzt. Eigentlich hatte er sie gemeint.
    Ein junger Mann in einem dunklen Anzug kam aus der Leichenhalle und ging über den Rasen zu dem kleinen Parkplatz, der den Angestellten vorbehalten war. Ein Lehrling des Vampirs? Oder vielleicht hatte Birnbaum ebenfalls einen Sohn. Der Junge sprang pfeifend in ein blaues Oldsmobil, das neben einem schlanken Cadillac-Leichenwagen stand.
    Einem neuen Leichenwagen, der eine Woche nach der
    angeblichen Einäscherung der Calder bar bezahlt worden war.
    Maritz fand diesen Autokauf äußerst interessant.
    In der Vorhalle gingen die Lichter aus.
    Maritz wartete, bis das Oldsmobil um die Ecke verschwunden war, ehe er aus seinem Wagen stieg und über die Straße ging. Er klingelte an der Tür.
    Niemand öffnete.
    Er klingelte erneut.
    Er wartete eine Minute und klingelte ein drittes Mal.
    Die Flurlichter gingen an, und jemand öffnete die Tür. Maritz  wurde in kühle Luft und in den betäubenden, süßlichen Geruch von Blumen eingehüllt.
    Vor ihm in einem schlichten grauen Anzug stand John Birnbaum, ein leicht untersetzter Mann mit schütterem grauen Haar. »Möchten Sie jetzt noch den Verblichenen sehen? Wir haben bereits geschlossen, tut mir leid.«
    Maritz schüttelte den Kopf. »Ich habe ein paar Fragen an Sie.
    Ich weiß, es ist bereits ziemlich spät, aber hätten Sie trotzdem vielleicht noch einen Augenblick Zeit für mich? «
    Birnbaum zögerte, und Maritz meinte beinahe zu sehen, wie er nachdachte und plötzlich lauter Dollarzeichen vor sich sah.
    »Haben Sie einen lieben Menschen verloren? «
    Birnbaum trat zur Seite, Maritz betrat die Eingangshalle und schloss hinter sich die Tür. Er lächelte. »Ja, ich habe einen lieben Menschen verloren. Und genau darum geht es mir.«
    Nell stand in der Küchentür und sah Michaela beim Backen zu.
    Mit mehlbestäubten Armen rollte die Haushälterin Teig auf dem Schlachtblock aus. Jede ihrer Bewegungen war behende, elegant und zugleich gezielt.
    »Was gibt's? « fragte Michaela ohne aufzusehen.
    Nell fuhr zusammen, und da ihr nichts Besseres einfiel, fragte sie: »Was machen Sie da? «
    »Plätzchen.«
    »Die, die wir zum Frühstück gegessen haben, waren einfach wunderbar.«
    »Ich weiß.«
    »Sie haben sicher immer viel zu tun.«
    Michaela nickte.
    »Es ist sehr freundlich von Ihnen und Ihrem Mann, dass Peter eine Weile auf der Ranch wohnen darf.«
    »Er stört uns nicht.« Sie legte den Teigroller zur Seite und fing mit dem Ausschneiden der einzelnen Plätzchen an. »Wenn er uns stören würde, hätten wir ihn nicht genommen. Für Narren hat Jean keine Zeit, aber der Junge ist kein Narr. Er hat den Verstand eines Kindes, und Kinder können Dinge lernen, wenn man sie ihnen ze
    igt.« Ihre Worte waren so gezielt wie die
    Bewegungen des Messers im Teig. »Also, was wollen Sie? «
    »Ihr Gesicht.«
    Michaela hob den Kopf. »Ich würde sagen, Ihr Gesicht ist gut genug.«
    »Ich meine... ich würde Sie gerne malen.«
    Michaela legte die Plätzchen auf ein Blech. »Zum Modellsitzen habe ich keine Zeit.«
    »Ich könnte Sie zeichnen, während Sie arbeiten. Vielleicht brauche ich Sie am Anfang gar nicht so oft.«
    Michaela schwieg einen Augenblick. »Sind Sie eine
    Künstlerin?«
    »Keine richtige. Ich habe nicht die Zeit dazu. Ich male nur, wenn ich nicht...« Sie brach ab, als ihr klar wurde, dass sie automatisch dieselbe Antwort wie vor Medas gab. Aber eine Jill oder einen Richard, die ihre Zeit beanspruchten, gab es nicht mehr. Diese Erkenntnis versetzte ihr einen schmerzlichen Stich.
    »Ja, ich bin eine Künstlerin.« Die Worte klangen fremd und einsam für sie.
    Michaela musterte sie, und dann nickte sie knapp. »Also gut, malen Sie los. Aber stehen Sie mir dabei nicht im Weg herum.«
    Ehe sie es sich noch einmal anders überlegen konnte, sagte Nell:
    »Ich hole schnell meinen Skizzenblock.«
    »Ich werde nicht still stehen bleiben.«
    »Ich arbeite einfach um Sie herum...«
    Nach einer Stunde hatte sie immer noch keine Skizze von Michaelas Gesicht zu Papier gebracht. Die Person stand nicht  eine Sekunde ruhig. Die Frau, deren Gesicht die Erhabenheit einer Nofretete aufwies, war ein regelrechter Ausbund an Energie. Nachdem sie mehrere Blätter mit Skizzen des ganzen Gesichts weggeworfen hatte, beschloss Nell, dass es vielleicht besser wäre, nähme sie

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