Das Schweigen der Schwaene
erlaubt, ein paar Tage bei ihm zu bleiben. Wenn er sich geschickt anstellt, nimmt Jean ihn vielleicht sogar ins Hochland mit, wenn er die Schafe holt.«
»Ist das auch nicht gefährlich für ihn? «
»Nein. Er war ganz versessen darauf, drüben zu bleiben.
Schließlich hat er Hunde und Schafe dort.«
Sie konnte sich vorstellen, wie unwiderstehlich der Vorschlag, auf der Ranch zu bleiben, für Peter gewesen war. Sie zerrte an dem braunen Einwickelpapier herum. Leinwand, Skizzenblock, Stifte und ein Farbkasten. »Was ist das? «
»Sie sagten, Sie wollten Michaela malen.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber Sie wollen es.«
»Ich werde viel zu beschäftigt sein.«
Er schnalzte mit den Fingern. »Ah ja, ich hatte ganz vergessen, dass Tod und Verderben das einzige sind, was für Sie von Interesse ist. Nun, ich habe beschlossen, dass ich eine Bezahlung verlange für meinen Unterricht. Ich brauche ein paar Bilder, denn die Wände hier im Haus sind noch zu kahl.«
In spöttischem Ton fragte sie: »Zum Beispiel neben dem Delacroix? «
»Heimatkunst. Meine Leute, meine Berge, mein Land.«
Derselbe Besitzstolz, der ihr bereits gestern an ihm aufgefallen war. Sie stellte die Leinwand ab. »Heuern Sie für diese Arbeit jemand anderen an.«
»Ich will Sie. Eine Stunde Tod und Verderben für zwei Stunden an meinen Bildern. Abgemacht? «
Sie sah ihn an. »Was soll das werden? Denken Sie, ich mache durch diese halbgare Therapie irgendeine wundersame Wandlung durch? «
»Vielleicht. Auf jeden Fall schadet es nichts.«
»Ich kann es mir nicht leisten, meine Zeit zu vergeuden.«
»Es gab einmal eine Zeit in Ihrem Leben, als die Malerei keine Zeitverschwendung war.« Er begegnete ihrem Blick. »Ich werde mein Versprechen halten. Sie bekommen täglich eine Stunde Unterricht von mir, egal, ob Sie malen oder nicht. Aber der einzige Weg, um mehr zu bekommen, ist, mir zu geben, was ich will.«
»Das wird Ihnen nichts nützen.«
»Es wird mir auch nicht wehtun « Er lächelte. »Ebenso wenig wie Ihnen, habe ich recht? «
Langsam schüttelte sie den Kopf.
»Abgemacht? «
Warum nicht? Es wäre eine Möglichkeit, das Tempo ihres
Unterrichts zu bestimmen, ohne Tanek erst bitten zu müssen. Sie blickte auf die Leinwand, und langsam stieg leise Freude in ihr auf. Ihr Blick wanderte in Richtung der Küche, in der Michaela mit Essensvorbereitungen beschäftigt war. Dieses wunderbare Gesicht...
»Wenn Sie Michaela überreden, sich von mir malen zu lassen...«
»Ich würde niemals versuchen, Michaela zu irgendetwas zu überreden. Wenn Sie sie malen wollen, reden Sie am besten selbst mit ihr.«
»Ist das auch als Therapie gedacht? « Er lächelte. »Nein. Ich habe einfach furchtbare Angst vor ihr.«
In der Dunkelheit sah das Birnbaumsche Bestattungsinstitut wie das kleine Herrenhaus einer Plantage aus. Die drei Säulen an der Vorderfront wurden von einem Strahler erhellt, der in einem der immergrünen Büsche auf der ausgedehnten Rasenfläche verborgen war.
Was für eine Verschwendung, dachte Maritz. Ein Herrenhaus für die Verblichenen.
Nun, nicht nur für die Verblichenen. Auch für die
Bestattungsunternehmer selbst. Schließlich nahmen sie Unsummen dafür, dass sie irgendwelche Leichen in
irgendwelche Särge verfrachteten. Verdammte Blutsauger, allesamt. Bei der Beerdigung seines Vaters hatten sie ihm noch den letzten Cent abgeknöpft.
Aber Maxwell & Sohn war ein anderes Unternehmen gewesen als das, was er hier vor sich sah. Die Leichenhalle hatte an einer belebten Straße in den Elendsvierteln von Detroit gelegen, und er war zu arm und zu unbedeutend gewesen, um ein bedeutender Kunde zu sein. Man hatte ihn einfach Daniel Maxwell, dem Sohn, überlassen, und er hatte in hilfloser Wut vor dem verpickelten Würstchen gesessen, während ihm dieses noch den letzten Dollar aus der Tasche zog.
Am liebsten hätte er diesem Schwein die Kehle zugedrückt, bis ihm die Augen aus dem Kopf gequollen wären.
Die Tür der Leichenhalle öffnete sich, und eine Reihe von Leuten strömte heraus. Mit verschwollenen Augen, leisen Stimmen, erleichtert, die Toten zurückzulassen und wieder zu den Lebenden zu gehen.
Auf seiner Uhr war es neun. Jetzt machte die Leichenhalle zu.
Er gäbe den Nachzüglern noch fünfzehn Minuten Zeit.
Die Trauernden gingen auf den Parkplatz, stiegen in ihre Autos und fuhren davon. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er selbst ein Trauernder gewesen war. Er hatte seinen Vater geliebt. Seine Mutter war
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