Das Schweigen der Tukane
gestern.»
«Ja. Was wollen Sie eigentlich von ihr?»
«Reine Routine. Prostituierte werden ab und zu überprüft. Und, wenn sie plötzlich verschwinden, werden wir hellhörig. Man weiss ja nie, ob ein Freier durchdreht.»
Anscheinend schluckte Lutz diese Erklärung.
«Der passiert schon nichts.»
«Standen Sie in Kontakt zu Ihrer Tochter?»
«Nee! Ich habe den Balg nie gesehen.»
«Vielleicht wäre es anders gelaufen, wenn Sie nicht beim ersten Windstoss die Finken geklopft hätten.»
Oh, oh, die Tonlage meiner Kollegin verschärft sich.
«Jetzt bin ich dann noch an allem Schuld. Ich hätte ja den Zuhälter spielen können.»
«Die grosse Liebe ist es wohl nicht gewesen, sonst wären Sie zu ihr gestanden.»
«Die Hure benutzte mich doch nur. Soll sie doch nach Spanien abhauen.»
«Wieso Spanien?»
«Dort will sie hin, zusammen mit Julie und dieser Rebecca. Wars das? Ich muss zur Nachtschicht. Im Moment sind die ziemlich scharf mit der Kontrolle. Wer nicht spurt, fliegt. Es gibt genug Leute, die auf eine freie Stelle in der Chemie warten.»
Nadine liess den Motor aufheulen. Wortlos raste sie durch die Stadt.
«Das ist kein Streifenwagen und du fährst auch nicht mit Blaulicht.»
«Mitfahrer, Maul halten!»
Nun denn, es ist ja schliesslich nicht mein Führerschein. Nora Schüpfer wollte sich mit ihrer Tochter Julie und ihrer Freundin Rebecca ins Ausland absetzen, nach Spanien. Vorausgesetzt ihr Ex erzählte die Wahrheit. Irgendwie seltsam, wieso sollte sie ausgerechnet ihm das verraten? Vielleicht eine Finte. Wir suchen sie in Spanien und sie befinden sich in Australien oder sonst wo. Immerhin hat mich mein Bauchgefühl nicht getäuscht, Nora Schüpfer ist noch in Basel. Fragt sich nur, wie lange noch.
«Wo wohnt Rebecca Haller?»
«Irgendwo im Kleinbasel. Webergasse, soviel ich weiss. Nimm mein Natel und ruf sie an. Sie hat mir ihre Nummer gegeben.»
«Sie ist in Noras Haus», informierte Ferrari seine Kollegin nach einem kurzen Telefongespräch. «Fahren wir zu ihr.»
«Gut. Wir holen nur kurz was im Kommissariat und fahren dann nach Bettingen.»
«Und was holen wir?»
«Das wirst du schon sehen.»
Nadine durchsuchte den Schreibtisch von Ferrari.
«Kann ich dir helfen?»
«Wo ist der Prüfungsbericht?»
«Welcher Bericht?»
«Von der MFK. Na, du weisst schon, der von Boris’ Auto.»
«Ach so. Den habe ich unter die Akte Grauwiler gelegt.»
Nadine machte sich eine Fotokopie und steckte sie ein. Danach fuhren sie nach Bettingen, wo sie ein leeres Haus vorfanden.
«Ich habe doch gerade noch mit ihr telefoniert?», wunderte sich der Kommissär. «Meinst du, die drei sind schon auf dem Weg nach Australien?»
«Nach Spanien!»
«Wer weiss.»
Sie schickten einen Streifenwagen in die Webergasse, um sicherzustellen, dass sich niemand der Gesuchten dort aufhielt, und lösten gleichzeitig eine Grossfahndung nach den beiden Frauen in Begleitung eines kleinen Mädchens aus. Vor allem der EuroAirport und die beiden Bahnhöfe sollten permanent kontrolliert werden. Bei den Zollstationen würden sie weniger Glück haben. Seitdem Europa nochmals ein Stück zusammengerückt war und sich sogar die Schweiz mit den bilateralen Abkommen an die EU kuschelte, verkamen Zollkontrollen zur Lotterie. Eine Entwicklung, die ihr Gutes hatte. So gab es keine langen Wartezeiten mehr am Zoll. Was die Kehrseite der Medaille betraf, so wurde es einfacher, das Land unbemerkt zu betreten oder eben zu verlassen.
Der Krieg der rostigen Räder ging in die nächste Runde. Wie war das doch gleich noch bei Karl dem Kühnen? Bei Grandson verlor er das Gut, bei Murten den Mut und bei Nancy das Blut. Das Gut verloren die Damen beziehungsweise Boris zu Beginn der Geschichte und den Mut, zumindest kurzfristig, beim zweiten Aufeinandertreffen. Nun folgt also die blutige Entscheidung.
«Hör mit deinem blöden Grinsen auf. Ich weiss ganz genau, was du denkst.»
Das, meine Liebe, bezweifle ich! Auf dem Höhepunkt der strategischen Sitzung, Ferrari sass derweil im Wintergarten, klingelte es.
«Bleib nur sitzen, Francesco. Ich mache auf.»
Umso besser. Der Kommissär liess sich nur ungern in seinem wohlverdienten Feierabend stören.
«Nadine und ich müssen kurz weg. Gehen wir danach etwas zusammen essen?», kam Monika Sekunden später zurück.
«Sicher. Ins ‹Feldschlösschen›?»
«Oder ins ‹Waldhaus›. Tschüss, Francesco. Wir sind bald zurück.»
Er schmunzelte. Ins ‹Feldschlösschen›, wenn sie das Blut verlieren,
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