Das Schweigen der Tukane
Wasser aus dem Teppich saugen können.»
«Gute Idee! Danke.» Borer warf die nassen Tücher in den Papierkorb und wandte sich wieder dem Fall zu. «Heikel! Sehr heikel. Sind Sie absolut sicher?»
«Nora Schüpfer schwört jeden Eid.»
«Dann … dann bleibt mir nichts anderes übrig. Ich muss den Ersten Staatsanwalt darüber informieren. Eine brisante Angelegenheit. Sie können den Haftbefehl um zwei bei mir abholen. Wenn …»
«Was wenn?»
«Sie sind sich darüber im Klaren, dass wir ziemlich alt aussehen, wenn Sie sich irren, Ferrari?»
«Irren ist menschlich.»
«Danke für Ihre aufmunternden Worte, Frau Kupfer.»
«Wir sind uns absolut sicher. Und wie gesagt, Nora Schüpfer ist bereit, einen Eid abzulegen.»
«Der nicht viel wert ist. Aber besser als gar nichts. Lassen Sie Frau Schüpfer das Aussageprotokoll unterschreiben.»
Borer seufzte tief.
«Was gefällt Ihnen nicht?»
«Die Personen, Ferrari, die Personen. Grauwiler war ein ehrenwerter Mann, Sonderegger ist ein unbescholtener Geschäftsmann.»
«Ich bin mir so sicher wie … wie …»
«… wie Francesco bei seinem ersten Fall, der seinen Ruhm begründete.»
«Na dann, gute Nacht!»
«Hm!»
Nadine schüttelte verständnislos den Kopf. Sie konnte ja nicht wissen, dass der Kommissär tagelang einer falschen Spur nachgegangen war und beinahe einen grauenhaften Fehler gemacht hätte.
Ferrari lief unruhig in seinem Büro auf und ab.
«Soll ich Nora holen lassen?»
«Wart noch einen Augenblick. Kann ein Mensch eine derartige Show abziehen?»
«Ein guter Schauspieler schon.»
«Und das ist Sonderegger meiner Meinung nach nicht.»
«Was denn nun? Zuerst glaubte ich ihm, während du deine Zweifel hattest. Jetzt bin ich davon überzeugt, dass er ein Lügner ist, und just in diesem Moment kommst du daher und äusserst deine Bedenken.»
«Was wissen wir über den Mann?»
«Dreiundvierzig, Parteipräsident von Grauwilers Gnaden, Unternehmer von Basler Kantonalbanks Gnaden, Frau und drei Töchter.»
«Drei Töchter?»
«Ja. Behafte mich nicht, aber ich glaube dreizehn, fünfzehn und siebzehn. Soll ich die Unterlagen holen?»
«Wenn wir uns irren, reissen wir eine ganze Familie mit in den Abgrund.»
«Und wenn wir uns nicht irren und ihn laufen lassen, baut er einen neuen Dealerring auf. Und vielleicht wiederholt sich die Geschichte.»
«Wie meinst du das?»
«Es wäre gut möglich, dass er ein anderes Kind entführt und als Druckmittel missbraucht.»
«Und weil Nora genau das befürchtet, verpfeift sie ihn.»
«Verpfeifen? Das ist wohl nicht das richtige Wort. Sie unterstützt uns bei der Aufklärung des Falls.»
«Nur …»
«Was ist denn jetzt noch?»
«Vielleicht ist das Ganze ein raffiniertes Ablenkungsmanöver. Sonderegger wird verurteilt, sofern das Gericht Nora glaubt, während der wirkliche Entführer und Mörder straffrei ausgeht. Nora erreicht damit ihr Ziel, Julie zu schützen. Sie dreht sogar den Spiess um. Sie nimmt zwar alle Schuld auf sich und wandert als Doppelmörderin in den Knast, behält aber ihren Trumpf gegen den wirklichen Täter in der Hand. Der weiss genau, dass sie nichts mehr zu verlieren hat, ausser Julie. Solange er ihre Tochter in Ruhe lässt, schweigt sie. Falls nicht, verrät sie ihn.»
«Wow. Glaubst du wirklich, dass Nora zu solch einer Scharade fähig ist?»
Ferrari nickte nur.
Nadine legte Nora Schüpfer ihre Aussage zur Unterschrift auf den Tisch.
«Bevor Sie unterschreiben, sollten Sie sich der Bedeutung Ihrer Unterschrift im Klaren sein.»
«Ich verstehe nicht ganz.»
«Wir werden heute Nachmittag Hanspeter Sonderegger verhaften. Damit ist er ruiniert. Er, seine Frau und seine drei Kinder.»
«Das … das hat er sich selbst zuzuschreiben.»
«Wenn das, was Sie jetzt unterschreiben, der Wahrheit entspricht, pflichte ich Ihnen bei. Wenn nicht, tragen Sie die Verantwortung dafür, dass ein Mensch unschuldig verurteilt und seine ganze Familie ins Unglück gestürzt wird. Bitte», Ferrari reichte ihr seinen Kugelschreiber, «es fehlt nur noch Ihre Unterschrift.»
Sie zögerte.
«Nora! Mach es nicht noch schlimmer, als es schon ist. Überleg es dir genau. Denk an Sondereggers Familie. An seine Frau und an seine drei Mädchen.»
«Wenn … wenn ich die Wahrheit sage, Nadine, wie gross ist die Chance, dass Julie nichts passiert?»
Nadine blickte zu Ferrari hinüber.
«Das ist schwierig zu sagen … Ich will Ihnen nichts vormachen, Frau Schüpfer. Sollte es uns gelingen, den Mörder zu
Weitere Kostenlose Bücher