Das Schweigen des Glücks
zwölf, sind wir zum Angeln rausgefahren und ich stand zu schnell in unserem Boot auf. Ich rutschte aus, schlug mit dem Kopf auf und fiel ins Wasser. Mitch sprang hinein und zog mich wieder raus. An dem Tag hat er mir das Leben gerettet, aber als ich wieder zu mir kam, lachte er nur. ›Jetzt ist mir der Fisch abgehauen, du Tollpatsch‹, sagte er, mehr nicht.«
Obwohl es ein trauriger Tag war, konnte man ein kleines Lachen hören, das schnell verstummte.
»Mitch – was soll ich sagen? Er war einer von denen, die allen, mit denen sie in Kontakt kommen, etwas von sich schenken. Ich mochte seine Sicht auf das Leben. Er nahm es als ein großes Spiel, in dem man nur gewinnen konnte, wenn man zu anderen Menschen gut war und wenn man in den Spiegel blickte und mit dem zufrieden war, was man sah. Mitch… «
Er drückte die Augen fest zu und drängte die Tränen zurück.
»Mitch war so, wie ich immer sein wollte… «
Taylor trat vom Mikrofon zurück und stellte sich wieder zu den anderen. Der Pfarrer beendete die Trauerfeier und die Gäste defilierten an dem Sarg vorbei, auf den ein Bild von Mitch gelegt worden war. Darauf sah man ihn über den Grill in seinem Garten gebeugt, mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht. Wie das Bild von Taylors Vater, so fing auch dieses Foto das Wesen des Abgebildeten ein. Anschließend fuhr Taylor allein zu Melissas Haus.
Viele Menschen gingen nach der Beerdigung zu Melissa, um ihr Beileidsbekundungen zu überbringen. Anders als am Tag zuvor, als sich nur die engsten Freunde und Verwandten eingefunden hatten, kam nun jeder, der bei der Trauerfeier war, auch Menschen, die Melissa kaum kannte.
Judy und Melissas Mutter nahmen sich der Aufgabe an, die Gäste zu bewirten. Weil es im Haus so voll war, ging Denise in den Garten und beobachtete Kyle und die anderen Kinder, die bei der Beerdigung gewesen waren. Es waren hauptsächlich Nichten und Neffen, die, wie Kyle, zu jung waren, um das ganze Ausmaß dessen zu verstehen, was sich zugetragen hatte. In ihrer Sonntagskleidung tollten sie umher und spielten, als wäre dies ein normales Familientreffen.
Die Trauer hatte etwas Beklemmendes. Nachdem Denise Melissa umarmt und ihr ein paar Worte des Beileids gesagt hatte, überließ sie sie der Obhut ihrer Familie und Schwiegerfamilie. Melissa würde im Moment alle Unterstützung bekommen, die sie brauchte, das wusste Denise, denn Melissas Eltern wollten eine Woche bleiben. Ihre Mutter wäre da, um ihr zuzuhören und sie in den Arm zu nehmen, während Melissas Vater sich mit den ermüdenden bürokratischen Angelegenheiten befassen würde, die immer auf ein solches Ereignis folgten.
Denise stand auf und trat mit verschränkten Armen an den Rand des Schwimmbeckens, als Judy sie vom Küchenfenster aus sah. Judy legte das Geschirrtuch weg, schob die Glastür auf und kam in den Garten.
Denise hörte sie kommen und sah ihr mit einem verhaltenen Lächeln über die Schulter entgegen.
Judy legte eine Hand sanft auf ihren Rücken.
»Wie geht es dir?«, fragte Judy.
Denise schüttelte den Kopf. »Das sollte ich dich fragen. Du kanntest Mitch viel länger als ich.«
»Ich weiß. Aber du siehst so aus, als könntest du ein bisschen Zuspruch gebrauchen.«
Denise ließ die Arme sinken und sah zum Haus hinüber. In allen Zimmern waren Menschen.
»Es geht schon. Ich muss an Mitch denken. Und an Melissa.«
»Und an Taylor?«
Obwohl es zwischen ihnen vorbei war, konnte Denise es nicht leugnen.
»Ja, auch an ihn.«
Zwei Stunden später wurde es leerer. Die meisten flüchtigen Bekannten waren gegangen und einige der Verwandten mussten zum Flughafen.
Melissa saß mit ihren Eltern und anderen Verwandten im Wohnzimmer. Ihre Jungen hatten sich umgezogen und waren im Garten vor dem Haus. Taylor stand allein in dem kleinen Zimmer, das Mitch gehört hatte, als Denise zu ihm trat.
Taylor sah sie und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Regal an der Wand zu. Es war mit Büchern gefüllt, mit Trophäen, die die Jungen im Football und in der Jugend-Baseball-Liga gewonnen hatten, und mit Familienbildern.
»Was du bei der Trauerfeier gesagt hast, war sehr schön«, sagte Denise. »Melissa haben deine Worte gut getan, das weiß ich.«
Taylor nickte nur und sagte nichts.
»Es tut mir sehr Leid, Taylor. Ich wollte dir nur sagen, wenn du mit jemandem sprechen möchtest – du weißt, wo ich bin.«
»Ich brauche niemanden«, flüsterte er mit heiserer Stimme. Damit drehte er sich um und ging hinaus. Sie hatten
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