Das Schweigen des Glücks
beide nicht bemerkt, dass sie von Judy beobachtet wurden.
Kapitel 25
T aylor fuhr im Bett hoch, sein Herz klopfte wild, sein Mund war trocken. Einen Moment lang war er wieder in dem brennenden Lagergebäude, Adrenalin strömte durch seine Blutbahnen. Er konnte nicht atmen, seine Augen brannten. Überall waren Flammen, und obwohl er zu schreien versuchte, brachte er keinen Laut hervor. Er erstickte im Rauch.
Dann wurde ihm ganz plötzlich bewusst, dass er sich alles nur einbildete. Er sah sich im Zimmer um und blinzelte. Doch auch die Rückkehr in die Realität war schmerzhaft und lastete schwer auf seiner Brust und seinen Gliedern.
Mitch Johnson war tot.
Es war Dienstag. Seit der Beerdigung hatte er das Haus nicht verlassen und war auch nicht ans Telefon gegangen. Er nahm sich fest vor, das ab heute zu ändern. Er hatte zu tun, ein Bauprojekt war noch nicht abgeschlossen, es gab kleine Probleme auf der Baustelle, um die er sich kümmern musste. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es schon nach neun Uhr war. Er hätte vor einer Stunde dort sein sollen.
Doch statt sich zu erheben, sank er einfach wieder ins Bett zurück. Er hatte nicht die Energie aufzustehen.
Am Mittwochmorgen saß Taylor, nur mit einer Jeans bekleidet, in der Küche. Er hatte sich Rührei mit Speck gemacht und das Essen auf dem Teller angestarrt, bis er es unangetastet in den Mülleimer kippte. Er hatte seit zwei Tagen nichts gegessen. Er konnte nicht schlafen und hatte auch kein Bedürfnis nach Schlaf. Er wollte mit niemandem sprechen und ließ die Anrufe von dem Anrufbeantworter aufnehmen. Er hatte diese Dinge nicht verdient. Sie könnten ihn erfreuen, sie könnten ihn ablenken – es waren Dinge für Menschen, die es wert waren, nicht für ihn. Er war erschöpft. Seinem Verstand und seinem Körper wurden die Dinge verwehrt die sie zum Überleben brauchten, und er wusste, er könnte ewig so weitermachen. Es wäre leicht, es wäre eine andere Art von Flucht. Taylor schüttelte den Kopf. Nein, so weit konnte er nicht gehen. Er hatte auch das nicht verdient.
Stattdessen zwang er sich, ein Stück Toast zu essen. Sein Magen verlangte nach mehr, aber er weigerte sich, mehr zu essen als nötig. Es war seine Art, der Wahrheit, so wie er sie sah, ins Auge zu blicken. Jeder Hungerschmerz würde ihm seine Schuld und seinen Selbsthass bewusst machen. Er war schuld daran, dass sein Freund gestorben war.
Wie bei seinem Vater.
Am Abend zuvor hatte er, auf der Veranda sitzend, versucht, Mitch vor seinem inneren Auge lebendig werden zu lassen, aber merkwürdigerweise waren die Züge seines Freundes schon erstarrt. Taylor konnte sich an das Foto erinnern, er konnte sein Gesicht sehen, aber es gelang ihm nicht, sich vorzustellen, wie Mitch lachte oder einen Witz machte oder ihm auf den Rücken schlug. Schritt für Schritt verließ ihn sein Freund. Bald wäre sein Bild für immer ausgelöscht.
Wie bei seinem Vater.
Taylor hatte im Haus kein Licht gemacht. Es war dunkel auf der Veranda. Er saß in der Finsternis und spürte, wie sein Innerstes zu Stein wurde.
Am Donnerstag schaffte er es, zur Arbeit zu gehen. Er sprach mit den Hausbesitzern und traf eine Reihe von Entscheidungen. Zum Glück waren seine Mitarbeiter da und wussten, worum es ging, so dass sie allein weiterarbeiten konnten. Denn schon eine Stunde später hatte Taylor keinerlei Erinnerung mehr an das Gespräch.
Früh am Samstagmorgen, als Taylor erneut aus Albträumen erwachte, zwang er sich aufzustehen. Er koppelte seinen Anhänger an den Truck und lud seinen fahrbaren Rasenmäher zusammen mit dem Unkrautstecher und dem Kantenschneider ein. Zehn Minuten später parkte er vor Melissas Haus. Sie kam heraus, als er gerade alles abgeladen hatte.
»Ich habe gesehen, dass der Rasen gemäht werden muss«, sagte er, ohne ihr in die Augen zu blicken. Nach einem Moment befangenen Schweigens fragte er: »Wie kommst du zurecht?«
»Einigermaßen«, sagte sie und gab keine Gefühle zu erkennen. Ihre Augen waren rot gerändert. »Und du?«
Taylor zuckte mit den Schultern und schluckte den Kloß in seinem Hals herunter.
In den nächsten acht Stunden arbeitete er ohne Unterbrechung und ließ ihrem Garten eine Pflege angedeihen, als hätte sich ein professioneller Landschaftsgärtner darin betätigt. Am frühen Nachmittag wurde eine Ladung Mulch geliefert, die er sorgfältig um die Bäume, auf den Blumenbeeten und am Haus entlang verteilte. Während er so beschäftigt war, bemerkte er auch andere Dinge,
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