Das Schweigen des Glücks
darüber, welches das nützlichste ist, gehen ziemlich weit auseinander.«
»Und die Ärzte?«
»Sie schreiben die Bücher.«
Taylor sah in sein Glas und rief sich seine Wortwechsel mit Kyle ins Gedächtnis zurück, dann sah er sie an. »Ich glaube, so schlecht spricht er gar nicht«, sagte er aufrichtig. »Ich habe verstanden, was er gesagt hat, und ich glaube, er hat mich auch verstanden.«
Denise fuhr mit ihrem Fingernagel an einem Riss auf der Tischplatte entlang. Was er sagte, war freundlich, wenn auch nicht ganz den Tatsachen entsprechend. »Er hat im letzten Jahr große Fortschritte gemacht.«
Taylor beugte sich vor.
»Ich sage das nicht nur so«, beteuerte er. »Ich meine es wirklich. Als wir Ball gepielt haben, hat er mir gesagt, ich soll den Ball werfen, und wenn er ihn gefangen hat, hat er gesagt: ›gut gemacht‹.«
Vier Wörter, genau genommen.
Du werf. Dut mat.
Denise hätte sagen können: Das ist nicht
besonders viel, wenn man es bedenkt, oder?
Und damit hätte sie Recht. Aber Taylor war freundlich und sie wollte sich nicht auf eine Diskussion über Kyles begrenzte sprachliche Möglichkeiten einlassen. Sie war vielmehr an dem Mann interessiert, der ihr gegenübersaß. Sie nickte und dachte nach.
»Ich glaube, das hat auch mit dir zu tun, nicht nur mit Kyle. Du hast viel Geduld mit ihm und die meisten Menschen haben das nicht. Du erinnerst mich an einige der Lehrer an der Schule, an der ich war.«
»Du warst Lehrerin?«
»Ich habe drei Jahre lang als Lehrerin gearbeitet, bis zu Kyles Geburt.«
»Hat dir das Spaß gemacht?«
»Ja, sehr. Ich habe Zweitklässler unterrichtet und das ist so ein schönes Alter. Die Kinder mögen ihre Lehrer und wollen lernen. Man hat das Gefühl, in ihrem Leben etwas ausrichten zu können.«
Taylor nahm einen Schluck von seinem Tee und sah sie über den Rand des Glases genau an. Er saß in ihrer Küche, umgeben von ihren Dingen, und beobachtete sie, während sie von der Vergangenheit sprach – und dabei wirkte sie sanfter, sie schien irgendwie weniger auf der Hut zu sein. Er hatte außerdem das Gefühl, dass sie nicht allzu häufig über sich selbst sprach.
»Möchtest du wieder in die Schule?«
»Eines Tages, ja«, sagte sie, »vielleicht in ein paar Jahren. Wir müssen sehen, was die Zukunft bringt.«
Sie richtete sich auf ihrem Stuhl auf. »Aber was ist mit dir? Du bist Bauunternehmer? «
Taylor nickte. »Seit zwölf Jahren.«
»Und du baust Häuser?«
»Das habe ich eine Zeit lang gemacht, aber jetzt mache ich eher Umbauten. Als ich anfing, waren das die einzigen Aufträge, die ich bekommen konnte, weil kein anderer sie übernehmen wollte. Aber mir gefällt es – für mich ist es eine größere Herausforderung, als ein neues Haus zu bauen. Man muss mit dem arbeiten, was schon da ist, und nichts ist am Ende so leicht, wie man am Anfang annimmt. Außerdem haben die meisten Menschen ein begrenztes Budget und es macht Spaß, wenn man versucht, es so hinzukriegen, dass sie möglichst viel für ihr Geld bekommen.«
»Meinst du, du könntest dieses Haus hier umbauen?«
»Ich könnte es so renovieren, dass es wie neu aussieht. Es kommt ganz drauf an, wie viel du ausgeben willst.«
»Na ja«, sagte sie gut gelaunt, »ich habe gerade zehn Dollar in der Tasche, die unbedingt ausgegeben werden wollen.«
Taylor hob die Hand ans Kinn.
»Hhmm.«
Sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an. »Dann müssen wir vielleicht auf die Arbeitsfläche aus CarraraMarmor und den Arktik-Gefrierschrank verzichten… «, sagte er und beide lachten.
»Wie gefällt dir die Arbeit im Eights?«, fragte er.
»Es ist okay. Es ist genau das, was ich im Moment brauche.«
»Und Ray?«
»Er ist wunderbar. Kyle kann in einem Nebenzimmer schlafen, während ich arbeite, und das erleichtert vieles.«
»Hat er dir von seinen Kindern erzählt?«
Denise zog die Augenbrauen nach oben. »Deine Mutter hat genau die gleiche Frage gestellt.«
»Also, wenn du lange genug hier gewohnt hast, wirst du feststellen, dass alle alles voneinander wissen und dass alle immer die gleichen Fragen stellen. Es ist eine Kleinstadt.«
»Schwer, anonym zu bleiben, wie?«
»Unmöglich.«
»Und wenn ich ganz zurückgezogen lebe?«
»Dann haben die Leute auch etwas, worüber sie reden. Aber so schlecht ist es gar nicht, wenn man sich erst mal dran gewöhnt hat. Die meisten Menschen sind nicht böswillig, sondern nur neugierig. Solange man nichts tut, was unmoralisch oder illegal ist, kümmern sie sich
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