Das Schweigen des Lemming
ist dann mit Ihrer Kollegin? Mit der Leonie? War die auch nur ein … Vehikel, ein Mittel zum Zweck für Sie?»
Wieder lacht Putzer auf.
«Sie haben ein feines Gespür, Herr Wallisch, das muss ich Ihnen lassen. Eigentlich schade, wenn man seine Gaben so verplempert … Aber bitte, was soll schon sein mit der Löwin? Ich werd sie mir holen, wenn die Sache hier erledigt ist. Dann werden wir sehen, wer ihr mehr bieten kann: der Murauer, der arme Schlucker, oder der Putzer, der für alle Zeiten ausg’sorgt hat … Ich hab nichts gegen die Liebe, ganz im Gegenteil. Auch in meiner Brust schlägt ein Herz, Herr Wallisch, und es schlägt … heißer als andere Herzen. Ja, sie hat’s mir angetan, die Leonie; ohne sie könnt ich meinen künftigen Reichtum nur halb so sehr genießen …»
Putzer runzelt die Stirn, dreht sich zur Seite und betrachtet Pokorny, der von einem Bein aufs andere hüpft, um seinem Körper die letzten Reste von Wärme zu entlocken.
«Fünf Minuten noch, dann ist er so weit …», brummt der Bär. Und meint dann, wieder zum Lemming gewandt: «Man weiß ja nie, was Leuten seines Schlages einfällt, wenn’s darum geht, den Helden zu spielen. Aber so, wie er aussieht, wird er sich nicht mehr großartig wehren können. Brav, wie er durchhält da drüben, schon fast wie ein echter Pinguin. Dass er sich nicht an meine Weisungen hält, ist zwar weniger brav, aber damit hab ich sowieso gerechnet: Er will mir den Koffer natürlich persönlich übergeben, damit er mir wenigstens noch eine Predigt halten, an mein verkümmertes Gewissen appellieren kann … Na, wenn’s ihn glücklich macht …»
«Warum», fragt der Lemming jetzt, «haben Sie das Ding – die Saliera – nicht gleich an sich genommen? Solang sie noch in Ihrem Spind versteckt war, auf der Akademie?»
«Wozu? Ich hab ja nicht wissen können, dass mein Angebot an die Versicherung gleich durch alle Medien geistern wird. Der Adler, der Floh und die Löwin hätten von meiner Aktion überhaupt nichts gemerkt. Und weil wir ohnehin geplant haben, das Ding zurückzugeben, wollt ich halt vorher noch …»
«Ordentlich abkassieren», beendet der Lemming den Satz. «Ein gemeinsamer Schabernack, geteiltes Risiko, aber ungeteilter Gewinn für den Bären: der ganze dreckige Jackpot für unseren Herrn Putzer …»
«Dreckig, ja!» Putzer wirft theatralisch die Arme hoch. «Mein Gott, wie dreckig! Wie verwerflich, wie niedrig! Was glauben Sie eigentlich: Wie viel Prozent aller Österreicher, nein: Wie viel Prozent der
Menschheit
hätten damit kokettiert, diese Chance zu nützen? Fünfzig? Siebzig? Neunzig? Kaum weniger als hundert, sag ich Ihnen … Der Großteil hätt sich nicht getraut, es durchzuziehen, zugegeben, aber meine Entschlossenheit können Sie mir schwerlich vorwerfen. Hat Ihnen der Pokorny von unseren anderen Streichen erzählt? Der falsche Schiele? Die Werbeaktion in der Gemäldegalerie? Jeden davonhätte man mit ein bisserl mehr Konsequenz und weniger Skrupeln zu Geld machen können – zu viel Geld. Ich war nur der Erste von uns vieren, der das erkannt hat. Aber der Adler und die Löwin, ja sogar der Floh, sie alle hätten tun können, was ich getan hab, wenn sie nur … vor mir erwachsen geworden wären. Wenn sie kapiert hätten, dass man früher oder später scheitern muss an seinen lauteren Idealen. Dass man seinen Kindern besser ein dickes Sparbuch mit auf den Weg gibt, als ihnen von seinen ach so lustigen Jugendpossen zu erzählen. In Ihren Augen mag ich schlecht sein, aber glauben Sie mir: um keinen Deut schlechter als der Großteil der Leute, die Ihnen im Lauf Ihres Lebens begegnen. Verstehen Sie das? Verstehen Sie, dass ich … als Bösewicht vollkommen austauschbar bin?»
Putzer stößt wütend die Luft aus.
«Ihr Heiligen! Ihr beschissenen, moralinsauren Heiligen …»
«Und Sie wollen uns jetzt zu Märtyrern machen?»
«Aber Blödsinn, hören S’ mir auf! Das ist doch gar nicht nötig. Ihr könnts mir doch gar nichts anhaben, ihr hängts doch alle nach wie vor mit drin, einer wie der andere … Sie noch am wenigsten, zugegeben, Herr Wallisch. Aber wer so sehr an die holde Freundschaft glaubt, wird seinen Freund Pokorny wohl kaum hinter Gitter bringen wollen. Also werden Sie tunlichst schweigen, und der Pokorny wird wiederum schweigen, um den Adler und die Löwin zu schützen, und die beiden werden sowieso den Mund halten, weil sie wissen, dass ich sie mit in den Kerker nehm,
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