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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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fallen. Sein Blick bleibt an einem kleinen, unscheinbaren Buch hängen, das halb unter einem zerschlissenen Fauteuil in der hinteren Ecke des Zimmers steckt.
    Zauberhafte Zahlenwelt
, steht auf dem unversehrten Einband. Und darunter:
Die Geheimnisse der Numerologie
.
    Es sieht nicht gut aus für Pokorny   …
    Neben dem Lehnsessel liegt ein zerborstenes Regal, unter dem eine Vielzahl von Schallplatten und CDs begraben ist. Der Lemming hebt das Möbel an und wuchtet es zur Seite. Studiert dann die Titel der Platten. Eine seltsame Mischung aus Schlager-, Volks- und Jazzmusik, die Pokorny da zusammengetragen hat, wobei es Jazz von jener Art ist, die mit Ragtime und Dixieland etwa so viel zu tun hat wie ein Funkgerät mit einer Buschtrommel. Die Elite der Avantgarde liegt hier versammelt, die wichtigsten Exponenten des Free Jazz: Albert Ayler, Ornette Coleman, Archie Shepp und natürlich John Coltrane, der berühmte Tenorcoltophonist   …
    Von einer CD besitzt Pokorny gleich mehrere Exemplare. Fünf khakifarbene Hüllen sind es, die der Lemming zählt. Er kniet sich auf den Boden und zieht eine davon heraus. PEN GWYNS ARCH, steht in ungelenken Lettern auf dem Cover. Ein Blick auf die Rückseite bleibt dem Lemming allerdings verwehrt. Jetzt nämlich horcht er auf, lässt die CD zu Boden gleiten und springt auf die Füße.
    «Scheiße», murmelt er noch einmal.
    «Scheiße», lässt sich nun auch eine Stimme vom Eingang her vernehmen. Eine helle, jugendliche Frauenstimme. Und dann – beinahe unisono – die Stimmen zweier Männer:«Scheiße!»
    Lautlos eilt der Lemming durch den Raum, hektisch sucht er nach Deckung. Nur nicht wieder, denkt er, nur nicht wieder sich auf frischer Tat ertappen lassen. Nur nicht wieder einer Missetat beschuldigt werden, die man nicht begangen hat. Er kann sich schon Stropeks bekümmerte Miene, Stropeks traurige Seufzer ausmalen, wenn ihm dieser die Kündigung überreicht. «Leider, Wallisch, leider», wird Stropek sagen, «aber Sie werden verstehen, dass wir uns unter diesen Umständen von Ihnen trennen müssen. Man   … kackt seinem Arbeitskollegen nicht auf den Teppich, Wallisch. Nicht bei uns jedenfalls. Nicht bei uns in Schönbrunn.» So oder so ähnlich, denkt der Lemming, wird seine nähere Zukunft aussehen, wenn er nicht augenblicklich ein geeignetes Versteck findet. Die Küche, überlegt er fieberhaft, befindet sich gleich am Anfang des Flurs, das Bad grenzt wieder an den lang gestreckten Korridor, der zum Blinddarm der Mansarde führt, zum Wohnzimmer nämlich, in dem er nun gefangen ist. Was noch braucht ein Mensch zum Leben? Man kocht, man wäscht sich, man sitzt und liest und hört Musik   … Wo aber schläft Pokorny? Wo steht sein Bett?
    Während aus dem Vorraum die gedämpften Stimmen der unerwünschten Besucher dringen, beginnt der Lemming, die Wände abzutasten. Und da, gerade als sich von hinten die ersten Schritte nähern, bemerkt er die Tapetentür, die sich in einer unscheinbaren Mauernische verbirgt. Er zieht sie auf, schlüpft durch und schließt sie hastig hinter sich.
    Die Kammer, in der er sich nun befindet, misst höchstens zwei Quadratmeter. Im Dämmerlicht kann der Lemming einen Aufstieg erkennen, einen Bastard aus Treppe und Leiter, der steil in die Höhe führt, um an einer halb geöffneten Luke zu enden. Pokornys enge Behausung besteht also, wie es scheint, aus zwei Etagen. In dieser, wenn auch nur in dieser Hinsicht gleicht sie Jochen Hörtnagls schicker Maisonette.Davon abgesehen aber entbehrt sie jeglichen Komforts, und das dürfte auch schon vor ihrer Verwüstung so gewesen sein.
    «Scheiße, verdammt   …», lässt sich jetzt wieder die Frau vernehmen. Kurz herrscht Stille, dann ertönt eine Reihe unbestimmter Geräusche, ein Scharren und Knirschen und Poltern.
    «Was ist? Was schaust denn so?», unterbricht endlich einer der Männer die offenkundige Hausdurchsuchung. «Du brauchst gar net so deppert schauen!»
    «Ich hab doch gar nichts   … gar nichts gemacht   …» Eine weitere, etwas höhere Männerstimme dringt nun – leise und verschreckt – durch die Tapetentür.
    «Das werden wir noch sehen, Blasser, das werden wir noch sehen   …»
    «Hör auf! Lass ihn in Ruhe, der kippt uns sonst noch um   …», wird jetzt die tiefste der vier Stimmen laut, ein ruppiger, barscher Bass.
    «Schau, schau. Man bildet also Allianzen   …»
    «Halt die Goschen, du Schlurf!»
    Und schon entbrennt ein heftiges Wortgefecht, ein dissonantes Duett

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