Das Schweigen des Lemming
… Also das Bild aus der Galerie war nur halb so groß wie Ihres, aber fast doppelt so teuer …»
«Ach so!» Hörtnagl lacht auf. «Ja, schauen Sie, mein Lieber, so ist halt der Markt. Und ganz besonders der Kunstmarkt. Heute noch Flop, morgen schon Top: ein ganz schön riskantes Geschäft, aber manchmal auch sehr lukrativ. Danke jedenfalls für den Tipp, da hab ich ja noch einmal Glück gehabt, obwohl diese … diese Künstlerei nun wirklich nicht mein Spezialgebiet ist.»
«Gern geschehen, Herr Kommerzialrat.»
«War sonst noch etwas?»
«Nein.»
«Gut, Wallisch. Dann gehen Sie jetzt und bringen S’ mir diesen Pokorny.»
«Ich soll ihn zu Ihnen …?»
«Ja, ich will ihn selbst zur Rede stellen. Sobald Sie ihn haben, rufen S’ mich unverzüglich an. Haben Sie das verstanden?»
«Ja, Herr …»
«Recht so.» Schon hat Hörtnagl aufgelegt.
Eine Zeit lang sitzt der Lemming noch so da, das Telefon an sein Ohr gepresst wie eines jener frühen Kofferradios, aus denen zwielichtige Männer mit schräg sitzenden Borsalinos die letzten Rennergebnisse erfuhren. Dann aber lässt er es sinken und starrt darauf, als traute er mehr seinen Augen als seinem Gehör. Wie hat Bernatzky es ausgedrückt?
Heiße Sache, Wallisch
, hat er noch vor wenigen Stunden gesagt,
dass du dir da nur nicht die Finger verbrennst
…
Kann sich ein vager Verdacht so rasch zur glasklaren Wahrheit entwickeln? Oder ist es nicht eher das Misstrauen selbst, das den Blick für die Wahrheit verschleiert? Bernatzkys Intuition in allen Ehren, aber ist es nicht immerhin möglich, dass ihm der Alte da einen Floh ins Ohr gesetzt hat? Eine jener unscheinbaren, beiläufig gemachten Prophezeiungen, die, eben erst ausgesprochen, sofort dazu neigen, sich selbst zu erfüllen? Ein subversives Samenkorn des Argwohns sozusagen, das sprießt und gedeiht und nicht zur Ruhe kommt, ehe es sich zur stattlichen Paranoia ausgewachsen hat?
«Lass dich nicht unterkriegen. Vielleicht ist ja alles ganz anders …»
Die helle Stimme reißt den Lemming aus seinen Gedanken. Neben ihm hat eine junge Frau auf der Parkbank Platz genommen, ein Mädchen noch fast, aber dezent geschminkt und adrett gekleidet wie eine Dame in mittleren Jahren. Sie sitzt nun da, die Hände im Schoß ihres beigefarbenen Kostüms, und starrt geradeaus.
«Ich weiß», sagt sie und nickt, ohne sich dem Lemming zuzuwenden, «ich weiß, dass die Sache nicht einfach ist. Schon gar nicht für dich …»
«Aber», stottert der Lemming, «was soll das? Woher …»
«Ganz ruhig», unterbricht ihn die Frau. «Das Wichtigste ist, dass du jetzt die Ruhe bewahrst. Was hast du gesagt?»
«Ich … verstehe nicht. Kennen wir uns?» Er bemüht sich nun auch, sich nicht zur Seite zu drehen, die Frau nicht anzusehen, wer weiß, vielleicht wird man beobachtet …
«Nein. Gott sei Dank. Das ist mir erspart geblieben …»
Der Lemming schweigt, verblüfft und auch ein wenig vor den Kopf gestoßen.
«Ich kann dir nur raten, vergiss die ganze Sache. Nimm das Geld und vergiss den Rest. Da wird nichts mehr draus …»
«Ja aber … Wer sind Sie denn überhaupt?» Es reicht. Mit einem Ruck fährt der Lemming herum, Tarnung hin oder her, und sieht der Frau ins Gesicht. Sie erwidert seinen Blick, kurz nur und ärgerlich, dreht ihm dann den Rücken zu. «Entschuldige, Moment nur …», meint sie, schüttelt den Kopf und steht auf. «Weißt eh, man kann nirgends mehr ungestört … Überall wird man angemacht von diesen notgeilen Wichsern …»
Sie wirft dem Lemming einen letzten, vernichtenden Blick zu, entfernt sich dann rasch, quert die Straße und steigt die Freitreppe der Wirtschaftsuniversität hinauf. Aus ihrem rechten Ohr hängt ein dünnes schwarzes Kabel, daran ein kleiner Knopf, ein Mikrophon offenbar. So also sieht ein so genanntes Headset aus. Der Lemming hat davon gelesen, im Handbuch seines Handys. Er beugt sich vor, vergräbt das Gesicht in den Händen. Weiß nicht so recht, ob vor Scham, vor Erleichterung oder vor Lachen …
Informationsgesellschaft, denkt er und wischt sich mit dem Ärmel die Augen trocken, so nennt man das also, wenn man harmlose Passanten nicht mehr von Geheimagenten unterscheiden kann. Oder von psychischen Randexistenzen,die keinen mehr zum Plaudern haben als sich selbst. Informationsgesellschaft: Das ist der saftige Boden, auf dem die Paranoia mit Abstand am besten gedeiht. Die viel gerühmte Vernetzung entpuppt sich als
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