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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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zwischen Bass und Bariton, während der schüchterne Tenor pausiert. Wie die Tschinellen beim Neujahrskonzert fährt an seiner statt der kräftige Mezzosopran der Frau dazwischen: «Schluss!», bringt sie die anderen zum Verstummen, um gleich darauf mit gesenkter Stimme hinzuzufügen: «Ihr seids solche   … solche Idioten   … ehrlich. Das haben wir gerade noch nötig, dass wir uns jetzt gegenseitig fertig machen   …»
    «Ja   … hast Recht   …», sagt der Bariton nach einer Weile.
    «Ja   … Scheiße», meint auch der Bass.
    Der Tenor übt sich weiter in Schweigen.
    «Ich denk mir auch meinen Teil, verstehst? Aber ich red nicht drüber. Bis wir den Pepi nicht gefunden haben, stehts ihr alle drei auf meiner schwarzen Liste   …»
    «Geh, Schatzl   …», unterbricht kleinlaut der Bariton.
    «Es hat sich ausgeschatzelt, Schatzl   … Jedenfalls bis auf weiteres.»
    «Scheiße, Schatzl   …»
    «Ja, du sagst es, Schatzl. Scheiße.»
    «Und was ist dann mit dir? Du könntest genauso gut   …»
    «Natürlich. Selbstverständlich. Ich weiß, dass ich
könnte
. Ich weiß aber zufällig auch, dass ich nicht
habe

    «Vielleicht ist er oben», mischt sich der Bass wieder ein.
    «Wer?»
    «Na, der Pepi   …»
    «Wir schauen gleich nach   …»
    «Scheiße», flüstert jetzt der Lemming. Und er beginnt, die Treppe hochzuklettern. Zaghaft, in stetiger Furcht vor einem verräterischen Quietschen, einem entlarvenden Knarren, nimmt er Stufe um Stufe. Oben angelangt, drückt er vorsichtig die Luke auf und zwängt sich durch die enge Öffnung.
    Hochseedampfer hin oder her: Der Raum, in dem er sich wiederfindet, gleicht ohne Zweifel einer Kommandobrücke. Kaum größer als die Matratze, die in ihm liegt, thront er auf dem Dach des Gebäudes wie einer jener lächerlich winzigen Hüte auf dem Kopf eines Zirkusclowns. Ein niedriger Pavillon, auf drei seiner Seiten verglast und vom saftigen Grün eines Dachgartens eingesäumt: Die Aussicht von hier oben ist atemberaubend.
    Ein Blick genügt, um zu erkennen, dass der Vandale auch hier gewütet hat. Zerbrochen ist eine der Fensterscheiben; dahinter, im Freien, liegt mit zerrissenem Balg ein großes Akkordeon. Pokornys bescheidene Bettstatt ist heftig zerwühlt, die Kissen sind aufgeschlitzt; selbst das Bild, das an der unverglasten Wand darüber hängt, ist der Zerstörung zum Opfer gefallen: Ein langer Schnitt zieht sich quer durch die Leinwand, zerteilt die sandigen Hügel und Schluchten, die blutroten Schlieren   …
    Riedmüller, fährt es dem Lemming durch den Kopf. Ein echter Riedmüller   … Er braucht keine Sekunde, um den Wert des Gemäldes zu schätzen: Etwa halb so groß wie jenes, das er am Vormittag bei Jochen Hörtnagl gesehen hat, muss es immer noch ein Vermögen gekostet haben. Hunderttausend Schilling   … Wie, um alles in der Welt, hat sich sein Kollege das leisten können?
    Es sieht gar nicht gut aus für Pokorny   …
    Schlechter sieht es im Augenblick nur für den Lemming aus: In der Kammer unter ihm werden jetzt Stimmen laut, Schritte ertönen. Schon sucht er den Ausgang, zerrt an der Klinke der Glastür, die in den Garten führt, reißt sie auf und stürzt hinaus. Die niedrigen Büsche und Topfpflanzen auf der Terrasse bieten nur spärliche Deckung; er läuft also weiter, läuft das ganze Dach entlang bis zur Spitze des Hauses, wo seine Flucht an einer steinernen, hüfthohen Brüstung ihr Ende findet. Dahinter geht es nur noch abwärts, vierzig, fünfzig Meter vielleicht: eine senkrechte Klippe, umtost vom rasenden Autoverkehr   …
    Seltsam, dass einem in solchen Momenten Bücher einfallen oder Filme, die die eigene, missliche Lage widerspiegeln. Als ob die Wirklichkeit einer Beglaubigung durch die Fiktion bedürfte   … Titanic, denkt der Lemming, Titanic   … Er breitet die Arme aus und streckt sein Gesicht in die Abendbrise, die nun – lauwarm und sanft – vom Norden her weht.
    «Scheiße! Da steht einer!»
    «Das ist doch nicht   …»
    «Nein   … Der Pepi ist dünner   …»
    «Okay   … ganz ruhig jetzt, ganz ruhig. Der kommt uns nicht aus   …»
    «Scheiße! Der   … springt!»
    «Scheiße   …»

7
    Nicht umdrehen; sie dürfen dein Gesicht nicht sehen   … Das, rekapituliert der Lemming, war sein einziger Gedanke, während er über die Brüstung geklettert ist: Wem man sich erst von vorne gezeigt hat, den kann man nicht mehr unerkannt beschatten   …
    Dass man Leute, vor denen man gerade flüchtet,

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