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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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wollen, oder im neusprachlichen Jargon meines damaligen Lehrers: die
investigative Entortungsmethode
… Na ja, Sie wissen schon, die Didaktik der frühen achtziger Jahre   …»
    «Verstehe   … verstehe   …», murmelt Stropek in den Hörer wie einer, der gar nichts versteht. Und wie könnte er auch: Gäbe es sie wirklich, die Kunst der investigativen Entortung, so würde sie allenfalls in entlegenen Zen-Klöstern gelehrt, irgendwo im tibetischen Hochland vielleicht, wo es weder lebende noch strangulierte Pinguine gibt.
    «Ja, wenn das so ist   … Ich will Sie ja nicht behindern, Wallisch, in Ihren Ermittlungen   … Also der Herr Kommerzialrat hat mich eigentlich   … Er hat aus dem gleichen Grund angerufen wie Sie heute. Ich hab’s selbst nicht verstanden, dass er sich plötzlich für meine Mitarbeiter interessiert, fragen S’ mich also nicht, warum, ich hab wirklich keine Ahnung   … Jedenfalls   … Er wollte wissen, ob ich etwas gehört hab vonihm, oder gesehen. Ob er sich vielleicht bei mir gemeldet hat   …»
    «Ja   … Wer denn jetzt?»
    «Na, der Pokorny.»

8
    Die beste Eigenschaft gewisser Tage ist ihre Endlichkeit. Und das gilt ganz speziell für diesen Montag. Beruhigend, dass er nur noch wenige Stunden dauert; beruhigend nicht nur, weil es ein Tag voller Rätsel war, die sich in dem schweren, feuchtwarmen Spätsommerklima zu einem undurchdringlichen Dickicht ausgewachsen haben, sondern auch deshalb, weil die verschlungenen Wege des Lemming durch diesen Urwald aus Fragen heute durchwegs in den Baumkronen enden. Kurz gesagt: An diesem unseligen Montag scheinen alle Leute im Dachgeschoss zu wohnen.
    Wenigstens ist der Lift des heruntergekommenen Mietshauses in der Rögergasse nicht defekt. Es gibt gar keinen. Und so keucht der Lemming einmal mehr die Stiegen hinauf, ein letztes Mal, wie er hofft, für heute zumindest   …
     
    Nach dem Gespräch mit Stropek hat er versucht, seine heillos verwirrten Gedanken zu ordnen. Nicht selten ist es ja so, dass man die schlichte, augenfällige Wahrheit für zu kompliziert, für unfassbar oder gar für falsch erklärt, nur weil man sie einfach nicht wahrhaben will. So mancher kühle Verstandesmensch hat sich dem Glauben an Gott verschrieben, weil die Naturgesetze seinen Theorien und Wünschen widersprachen; so mancher hitzige Gottesanbeter hat aus demselben Grund seinen Kopf verloren. Die Wahrheit aber ist, dass es immer so ist, wie es ist. Dass man nur eins und eins zusammenzählen muss, ohne von vornherein zwei zu erwarten.
    Der Lemming hat also gerechnet, hat ein ums andere Maldie Fakten abgewogen und addiert. Die Schwierigkeit dabei war nicht so sehr der Rechenvorgang als vielmehr der Glaube an das Resultat, an das ernüchternd schändliche Ergebnis: Jochen Hörtnagl hat ihn belogen und betrogen, Jochen Hörtnagl hat ihn benutzt und missbraucht. Nicht zu widerlegen nämlich ist, dass Hörtnagl bereits am Sonntag früh auf der Suche nach Pokorny war, zu einem Zeitpunkt, als er noch gar nicht von dem Vorfall im Zoo erfahren hatte. Er hat den Pinguinmord also nur zum Anlass genommen, um ihn, den Lemming, auf Pokornys Spur zu setzen. Offenbar hat Stropek ihm brühwarm erzählt, dass Pokorny in jener Nacht von einem ausgedienten Kriminalinspektor vertreten wurde, und Hörtnagl hat die Gelegenheit, ohne zu zögern, beim Schopf ergriffen. Wenn also Pokorny das Krokodil ist, das es zu jagen gilt, dann ist Hörtnagl der Puppenspieler, der die Fäden zieht. Dem Lemming aber bleibt in dieser üblen Farce nicht mehr als die Rolle des dümmlichen Wurstels, des Kasperls   …
    Sagen Sie, hätten Sie in der Mordnacht überhaupt Dienst gehabt?
Natürlich, schon da hat Hörtnagl versucht, ihn zu beeinflussen, seine Gedanken auf Pokorny zu lenken.
Einen Kollegen also   … Verstehe. Vielleicht sollten Sie ja   …
    Nach und nach sind dem Lemming die Schuppen von den Augen gefallen, haben die hässliche Wahrheit Stück für Stück entblättert. Und wie so oft, wenn man ein Rätsel mühevoll entwirrt, bestand die Lösung aus zwei weiteren: Was ist es wirklich, das Hörtnagl von Pokorny will? Was verbindet den weltgewandten Magnaten mit dem schrulligen Nachtwächter?
    Ein Arschloch, so hat der Lemming Zwischenbilanz gezogen, ist Hörtnagl allemal. Ein Arschloch, das goldene Eier legt, zugegeben, in das man aber deshalb lange noch nicht kriechen muss. Arschlöcher erfordern Arschtritte, und für einen solchen hat ihn ja Hörtnagl schließlich bezahlt  

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