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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Verstrickung, je drahtloser, desto verworrener. Und nun zappelt auch er, der Lemming, in diesem unsichtbaren, weltumspannenden Netz: Statt sich daraus zu befreien, knüpft er die nächste Verbindung, vergrößert das Chaos, statt es zu ordnen. Fast so, als wollte er krankhaftes Grübeln mit Nachdenken heilen, oder Krätze mit Kratzen. Halb trotzig, halb resignativ tippt er eine weitere Nummer in sein magisches Ei.
    «Stropek?»
    «Grüß Sie, Herr Doktor   … Wallisch hier.»
    «Wallisch! Na so was! Aber warum   … Sagen S’ jetzt nicht, es ist was schief gegangen mit dem Hört   … mit dem Kommerz   … Sie sind doch hoffentlich zu ihm   …»
    «Sicher, Herr Doktor, nur keine Sorge», beeilt sich der Lemming, Stropek zu beruhigen. «Ich hätte da nur noch eine kleine Frage an Sie. Oder zwei   …»
    «Fragen S’ nur, Wallisch, fragen S’ nur   …» Stropek ist hörbar erleichtert; er scheint doch sehr daran gezweifelt zu haben, dass ein Nachtwächter auch tagsüber funktionieren kann.
    «Es ist Folgendes: Erstens wollte ich wissen, ob sich vielleicht der Pokorny bei Ihnen gemeldet hat   … Und wie es ihm so geht», fügt der Lemming rasch hinzu, um seiner Frage den Anstrich der Beiläufigkeit zu geben.
    «Brav, Wallisch, brav! Das lob ich mir, dass Sie sich um Ihren Kollegen sorgen. Aber leider, nein, ich hab nichts von ihm gehört. Wie gesagt, er ist erst wieder am Mittwoch eingeteilt. Wenn er dann nicht zum Dienst erscheint, muss ich aber andere Saiten aufziehen, schließlich war ja auch sein Ausfall am Samstag nicht ganz koscher   …»
    «Wieso? Was meinen Sie?» Der Lemming nimmt Witterung auf.
    «Geh, Wallisch, Sie wissen so gut wie ich, dass ein inoffizieller Diensttausch bei uns nicht vorgesehen ist. Das nächste Mal schickt er seine Urstrumpftante zur Nachtwache, weil er grad keine Zeit hat. Der Pokorny hätt
mich
informieren müssen, nicht
Sie
… Dafür gibt’s mich ja schließlich.»
    «Natürlich. Verstehe   …» Es ist Stropek immerhin anzurechnen, dass er es Josef Pokorny nicht allzu übel nimmt, von ihm übergangen worden zu sein. Dass für ihn die alte Weisheit, der Weg sei das Ziel, auch für den Dienstweg gilt, in Maßen zumindest.
    «Und weiter? Was wollten Sie noch von mir wissen?»
    «Ja   … Die andere Frage betrifft den Hörtnagl, also den Herrn Kommerzialrat   …»
    «Aha?»
    Ist es dem Lemming bisher gelungen, das Gespräch in unverfänglichem Plauderton zu führen, so vermeint er nun einen Hauch von Argwohn in Stropeks Stimme zu vernehmen.
    «Aha?», sagt Stropek noch einmal. «Und weiter?»
    «Es geht um das Telefonat, das Sie gestern früh mit ihm geführt haben. Es hat mich nur interessiert   … Also bevor Sie ihm die Sache mit unserem Pinguin erzählt haben   … Warum hat Sie der Hörtnagl überhaupt angerufen?»
    Kurze Stille. Dann das unvermeidliche Seufzen am anderen Ende der Leitung. Ein Seufzen diesmal, das Stropeks Erregungspalette weitgehend abzudecken scheint: Unruhe, Skepsis und Missmut drückt es aus, Ärger und Hilflosigkeit – ein Universalseufzer sozusagen.
    «Wissen Sie, Wallisch   … Manchmal versteh ich Sie einfach nicht, beim besten Willen nicht. Da sollen Sie einen Tierquäler dingfest machen, und was tun Sie? Sie spionieren einem Tierschützer hinterher. Ihrem – unserem – Auftraggeber und Mäzen noch dazu   … Können S’ mir das erklären, oder bin ich zu blöd dazu?»
    «Ja   … nein   … Ich meine, natürlich kann ich’s erklären   …»,stottert der Lemming, «Momenterl nur   … die Straßenbahn   …»
    Von links her nähert sich der D-Wagen , rattert vorüber, ein roter, kreischender Wurm. Bremst dann kurzfristig ab, mit heftigem, wütendem Klingeln: Ein Auto versperrt ihm den Weg, ein grüner VW, der etwa fünfzig Meter weiter mitten auf den Schienen parkt. Als der Wurm den Käfer endlich vertrieben hat, quietschend um die Ecke schlingert und in der Althanstraße verschwindet, nimmt der Lemming den Faden wieder auf. Einen Faden, den er eben erst gesponnen hat.
    «Schauen Sie, Herr Doktor, es ist wie   … wie bei den Fledermäusen. Also eine räumliche Ortung vorhandener Hindernisse, damit sie wissen, wo sie
nicht
hinfliegen, weil sie sonst wo dagegen fliegen. Ihr Weg bestimmt sich quasi durch den Nicht-Weg, verstehen Sie? Man lernt das schon auf der Polizeischule: Wenn du einen linkshändigen Mörder suchst, musst du dich vor allem auf die Rechtshänder konzentrieren   … Negative Selektion, wenn Sie so

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